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Überfüllte Gehwege sind nicht nur hinderlich, sie erhöhen auch die Kontaktmöglichkeiten.

Stockkontakt - Ja, da ist jemand

2009

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Endlich Sommer! Die Menschen stehen in Gruppen zusammen, verweilen freiwillig länger draußen, als es ihre geplanten Erledigungen erfordern und sind sozusagen allgegenwärtig. - Ich mit meinem Langstock auch.

Die wärmste Jahreszeit ist für mich jene mit den intensivsten Kontakten auf Wiens Straßen. Wo viele Menschen sind, gibt es eben viele Begegnungen. Einerseits verstellen mir oftmals Menschenansammlungen den Weg, andererseits ist bei Bedarf rasch Hilfe zur Stelle. Es gibt ständig Berührungen - bewusste durch Hilfestellung ebenso wie ungewollte durch so manchen Zusammenstoß mit eiligen, unaufmerksamen oder einfach nur übermütigen Passanten.

Und im Sommer lerne ich immer eine Menge interessante Leute kennen - Menschen, die in der warmen Jahreszeit offenbar kontaktfreudiger sind und sich für Ihre Mitmenschen mehr zu interessieren scheinen als in Regen, Wind und Kälte, wo jeder nur rasch ans Ziel kommen möchte - genau wie ich auch.

Sommerzeit ist Baustellenzeit

Zu Beginn der warmen Jahreszeit, besonders aber während der großen Ferien werden oftmals vertraute Wege durch Holzplanken oder - noch schlimmer - mit wenig stabilen rot-weißen Bändern abgesperrt: Es ist Baustellenzeit. Dann beginnt die oft mühsame Suche nach einem möglichen und auch sicheren Durchschlupf. Oft glaube ich endlich einen gefunden zu haben, um nach wenigen Metern festzustellen, dass ich mich innerhalb einer Baustelle wie in einem "Käfig" befinde. Ein Langstock verhindert bei sachgemäßem Gebrauch zwar den Sturz in die Tiefe, aber als Sensor für den oft weit entfernten "Fluchtweg" taugt er wenig.

Zum Glück sind im Sommer fast immer Menschen in der Nähe, oft auch freundliche Bauarbeiter, die mich - nicht zuletzt aus eigenem Interesse - wieder auf den richtigen Weg bringen.

Aber wirklich schlimm wird es, wenn plötzlich der Presslufthammer losdröhnt. Dann werden Autos und sogar Straßenbahnen "unhörbar", und in mir steigt Unbehagen, manchmal auch leise Furcht auf. Dabei ängstigen mich weniger die motorisierten Teilnehmer, als vielmehr die vielen "Flitzer" auf den Gehwegen, die mit Inline Scates, Scateboards oder gar mit dem Fahrrad unterwegs sind.

Einige Sicherheit bietet in solchen Fällen eine Hauswand, auf freien Flächen halte ich es gelegentlich für die sicherste Taktik, einfach stehen zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass jemand eingreift.

Familientreffen an der engsten Stelle

Verkehrsruhe und fehlender Baulärm sind aber noch keine Garantie für ungehindertes Fortkommen.

Schon von weitem höre ich das Lachen von Kindern und etliche Damen unterhalten sich. Ich reduziere mein Gehtempo, denn schließlich möchte ich kein Kleinkind umstoßen. Plaudernde Menschen vergessen nur allzu oft auf den Nachwuchs zu achten und sowohl bei fröhlichen als auch hitzigen Debatten scheint für viele die Welt um sie herum vorübergehend nicht zu existieren.

Langsam und konzentriert komme ich also näher, penibel darauf bedacht, anhand der Geräusche die verschiedenen Positionen der Gesprächsteilnehmer, vor allem aber der Kinder einigermaßen genau zu lokalisieren. Drei Damen unterhalten sich in der Nähe der Hauswand, eines der kleinen Kinder, die ich gehört habe, hat irgendein Fahrzeug, das ein deutliches Geräusch verursacht. Gott sei Dank, denn das Kind hat einen stabilen Untersatz, und ich kann hören, wo es sich befindet. Aber wo ist das andere?

Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder den Erwachsenen zu, aber die sind inzwischen verstummt. Sie beobachten interessiert oder fasziniert die blinde Frau mit dem Stock, aber sie denken nicht daran, den Weg freizugeben. Und jetzt kann ich auch nicht mehr hören, wo genau sie stehen. Aber dafür "entdecken" meine Ohren das zweite Kind, das sich zum ersten gesellt hat. Sie sind jetzt links von mir und ich kann vorbeigehen. Die Erwachsenen sind weniger wichtig, die können auf sich selbst aufpassen.

In jungen Jahren haben mich solche Situationen schrecklich geärgert, heute weiß ich mir zu helfen und spreche die Herrschaften einfach an. Das bricht das Eis und ich kann wieder hören, wo es lang geht.

Die lautlosen Flitzer

Aber nicht nur die liebe Familie blockiert den Gehweg, auch zum Verkauf angebotene Waren und Schanigärten wollen wie Klippen umschifft werden. Aber all diese Hindernisse haben einen Vorteil: Sie bewegen sich nicht.

Ganz anders verhält es sich mit jenen Verkehrsteilnehmern, die mit erstaunlichem Tempo, beinahe unhörbar und obendrein im Fußgängerbereich unterwegs sind, ob nun Radfahrer oder Inline-Scater. Während es an Ampelkreuzungen und in der Nähe von Haltestellen immer häufiger taktile Bodenleitstreifen gibt, an denen sich mein Langstock orientieren kann, sind die meisten Radwege nur farblich gekennzeichnet - und Farbe kann ein Langstock nun einmal nicht fühlen. Oft informiert mich erst eine ungeduldige Fahrradklingel, dass ich unwissentlich den Radweg benutze. Solche Situationen sind unangenehm, aber normalerweise nicht extrem gefährlich. Einen Radweg jedoch im unrechten Moment zu queren, kann ziemlich gefährlich werden - erst recht, wenn man von dessen Vorhandensein gar nichts weiß. Unmittelbar vor meinem Stock querende Radfahrer oder Inline-Scater sorgen oft genug für eine Schrecksekunde. Denn was einem gut sehenden Menschen als Mindestabstand noch reicht, ist für meine mangels Sicht verminderte Reaktionszeit viel zu knapp.

Die Gegenwart von Menschen

Wenn das Wetter die Menschen zu allerlei Aktivitäten nach draußen treibt, habe ich es auf der einen Seite oft schwer meinen Weg zu finden, auf der anderen Seite sind zwischenmenschliche Kontakte auch intensiver und Kommunikationsbarrieren können offenbar bei warmem, freundlichem Wetter leichter überwunden werden. Welchen prozentuellen Anteil das Wetter, die Menschen, denen ich begegne oder ich selbst daran haben, vermag ich nicht zu sagen. Aber eines weiß ich sicher: Ich mag die Jahreszeit am liebsten, in der Wärme von Sonne und Menschen gleichermaßen auszugehen scheint.

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