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Der smarte Helfer ist vielseitig und stets griffbereit

Ganz schön smart, diese kleinen Telefone

28.03.2014

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Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit werden sie gezückt: von Kids im ersten Lesealter, von Teenies sowieso, von Geschäftsleuten erst recht und sogar Senioren greifen danach. Überall klingeln, tuten und ticken Smartphones, flinke Finger huschen über Glasplatten, tippen und wischen. Der eine Teil der Bevölkerung scheint süchtig danach zu sein, der andere Teil schüttelt missbilligend, voll Sorge oder auch nur verständnislos den Kopf.

Smarte Helfer

Für blinde und sehbehinderte Menschen kann ein Smartphone mit wenigen Handgriffen zum wichtigen Hilfsmittel werden und Aufgaben übernehmen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren. Ob Navigationshilfe, Textscanner oder Notizblock, Terminplaner oder Radio - Smartphones sind kleine Taschencomputer, mit denen man auch telefonieren kann.

Möglich wird die Nutzung für stark sehbehinderte und blinde Menschen dadurch, dass Hersteller ihre Betriebssysteme zusätzlich mit Funktionen für behinderte Menschen ausstatten, die nicht erst installiert, sondern nur aktiviert werden müssen. Erhöhte Kontraste und starke Vergrößerung erleichtern Menschen mit Sehschwäche die Nutzung, und blinde Anwender können Programme mit synthetischer Sprache zuschalten - bei Apple-Produkten unter iOS ist das VoiceOver, beim Betriebssystem Android von Google Talkback. Sobald die Sprachunterstützung aktiviert ist, "spricht" der Bildschirm bei Berührung. Wird nun ein Finger irgendwo auf den Bildschirm gelegt, so wird nicht gleich eine Aktion ausgelöst, sondern die Sprachausgabe spricht, welches Symbol berührt wurde. So kann durch einfaches Berühren der gesamte Bildschirm erkundet werden. Mittels spezieller Tipp- und Wischgesten können Aktionen ausgelöst, ja sogar die virtuelle Tastatur bedient werden. Wer mit dieser Bedienung nicht warm werden kann, dem bleibt immer noch die Spracheingabe. Damit können nicht nur Texte diktiert, sondern auch Befehle am Smartphone ausgelöst werden.

Was Smartphones darüber hinaus für blinde Menschen so besonders smart macht, ist der mobile Einsatz. Zwar arbeiten seit vielen Jahren blinde Menschen am Computer, aber der steht zu Hause oder am Arbeitsplatz. Das Arbeiten an einem fremden Computer, etwa eines Freundes, scheitert daran, dass auf kaum einem System ein Screenreader zur Verfügung steht, der nun einmal für blinde Anwender unverzichtbar ist.

Darum sind Smartphones das ideale Hilfsmittel für unterwegs: Einerseits wegen ihrer geringen Größe, andererseits weil sie bereits alles an Bord haben, was ein blinder oder sehbehinderter Nutzer braucht. Aber auch am heimischen Sofa oder im Liegestuhl auf der Terrasse zeigen sich die kleinen Helfer von ihrer starken Seite, um eingegangene Mails zu kontrollieren oder entspannt das Fernsehprogramm zu lesen.

Welche Aufgaben konkret durch ein Smartphone abgedeckt werden können oder sollen, hängt davon ab, wie Aufgaben und Tagesabläufe strukturiert sind und ob der Nutzer generell technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen und auch lernwillig ist. Die gute Nachricht ist jedenfalls, dass jeder, der keine wesentliche Zusatzbehinderung hat, die Bedienung des Touchscreens am Smartphones auch erlernen kann. Wer das nicht allein tun möchte, für den gibt es Lern-CDs, Mailinglisten und Foren sowie eine Reihe von Podcasts, um das neue Medium kennen zu lernen.

Das klingt alles sehr theoretisch. Einige Beispiele sollen daher praktische Einsatzmöglichkeiten näher beleuchten.

Die Zeit sitzt uns im Nacken

Schon morgens klingelt uns der Wecker aus dem Schlaf. Zwar hat jeder blinde Mensch irgendeinen bedienbaren Zeitmesser im Haus, aber auch das Smartphone kann diese Aufgabe übernehmen. Neben Timer und Stoppuhr findet sich dort auch eine Erinnerungsfunktion, der man wichtige Erledigungen anvertrauen kann.

Besonders hilfreich ist der Terminkalender. Die schriftliche Notiz in Blindenschrift oder als Audio auf einem Diktiergerät mag schon mal zu Hause vergessen werden. Das Smartphone steckt man aber gemeinsam mit Geld, Ausweis und Schlüsseln fast immer automatisch in die Tasche.

Immer wissen, wo es lang geht

Gerade für blinde Menschen sind Hinweise zur besseren Orientierung besonders wichtig. Wir können ja keine Straßenschilder, Hausnummern, Namen von Geschäften, Stationstafeln oder Abfahrtszeiten lesen. Es gibt eine ganze Reihe von Apps, die Auskunft über den momentanen Standort geben, informieren, welche Linie und wann fährt oder wo sich die nächste Bank oder Reinigung befindet. Auch Routenplanungen von A nach B sind möglich. Zwar können blinde Nutzer die grafische Darstellung einer Route nicht oder nur unzureichend nutzen, aber viele Routenplaner bieten auch verbale Informationen über Straßennamen, Entfernung und Richtungswechsel.

Lesestoff für jeden Geschmack

Es ist ein ganz besonderes Gefühl, im Verkerhsmittel oder im Wartezimmer des Arztes wie alle anderen auch die Tageszeitung lesen zu können und nicht nur zu Hause am PC. Ob Tageszeitung oder spannender Thriller - ein Smartphone fasst unendlich viel Lesestoff. Wer gesehen hat, wie groß und schwer Bücher in Braille-Schrift sind, bekommt einen Eindruck, wie hilfreich das Lesen am Smartphone sein kann, auch wenn es sich um eine synthetische Stimme handelt, die den Text vorliest. Natürlich ist das Smartphone auch ein geeigneter Audio-Player, um Hörbücher abzuspielen und Musik sowieso.

Codes entschlüsseln

Heute sind fast alle Produkte mit einem Barcode versehen. Sie kennen das von der Supermarktkasse. Auch Smartphones bieten Apps zum Lesen von solchen Codes. Zwar wird kaum ein blinder Einkäufer auf diese Weise hunderte Packungen im Supermarkt durchchecken, um eine ganz bestimmte Nudelsorte zu finden. Aber zu Hause ist es schon hilfreich selbstständig feststellen zu können, ob die Konservendose nun Bohnen oder Pfirsiche enthält, falls man einmal vergessen hat, diese mit tastbaren Kennzeichen zu versehen. Und unterwegs muss nicht erst eine der beiden Müslipackungen geöffnet werden, um herauszufinden, ob sie die riegel mit Kokos- oder Schokoladegeschmack enthält.

Wenn ein Zahlschein ins Haus flattert und niemand da ist, den man fragen kann, wer da schon wieder Geld haben möchte, hilft mitunter das Auslesen des QR-Codes, der auf manchen Zahlscheinen abgedruckt ist. Gemeinsam mit der App für die eigene Bank kann so das Auslesen der Zahlungsdaten und das Anlegen einer Online-Überweisung selbstständig gelingen, ohne dass irgendetwas eingetippt oder fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muss. Denn Geldangelegenheiten sind nun einmal Privatsache und können es so auch bleiben.

Ein kleiner Werkzeugkasten

Einige Anwendungen sind speziell für Menschen mit Seheinschränkung gedacht. Da gibt es zum Beispiel einen Geldleser, der nicht nur Euro-Scheine, sondern auch Dollarscheine zuverlässig erkennt, die ja alle dieselbe Größe haben. Ein Lichtsensor hilft Menschen ohne Lichtempfinden festzustellen, ob eine Lampe brennt oder nicht und es gibt einige Anwendungen, mit deren Hilfe Farben erkannt werden können.dUnd da ist die App Greta, mit deren Hilfe in einem beliebigen Kino die audiodeskription am smartphone angehört werden kann, wie ich in meinem Rendezvous mit Greta beschrieben habe.

Das Auge am anderen Ende der Leitung

Besonders smart ist der Videoanruf. Ob es nun um die richtige Farbe eines Fadens für den Knopf geht, der angenäht werden soll, oder ob der Telefonpartner rasch einen Blick auf den heimischen PC-Bildschirm werfen soll, um Klarheit über einen Zustand zu erhalten - die Kamera des Smartphones ist ein zuverlässiger Helfer in so manchen schwierigen Situationen. Und warum nicht eine vor einem geschlossenen Geschäft angebrachte Tafel fotografieren und das Foto gemeinsam mit der Frage verschicken, was da zu lesen ist? Gut, der Umgang mit der Kamera will gelernt sein, aber durch einen Videoanruf zu einem Freund oder Angehörigen erlangt man rasch die nötige Übung.

Barrierefrei und alltagstauglich?

Diese wenigen Beispiele sind nur ein Bruchteil möglicher Anwendungsbereiche. Von der ausgereiften Textverarbeitung über Wörterbücher, Übersetzungsprogramme und Navigationshilfen bis hin zum Mondkalender, einem Quizz oder dem Sudoku-Spiel reicht das Angebot, aus dem auch blinde Menschen wählen können, je nach Notwendigkeit oder Lust.

Voraussetzung für die Nutzbarkeit ist allerdings, dass die Apps, genau wie Anwendungen für den PC oder Webseiten, auch barrierefrei gestaltet sind. Das trifft nur auf einen Bruchteil der Anwendungen zu, weil viele der Entwickler gar nicht wissen, dass blinde Menschen Smartphones nutzen können. Tatsache ist aber, dass die Hersteller der Betriebssysteme Android und iOS präzise und umfassende Anleitungen für die Erstellung barrierefreier Apps verfasst haben, die jedem Interessierten zur Verfügung stehen:

Wie viele solcher Minianwendungen es gibt, weiß vermutlich niemand ganz genau, denn täglich werden es mehr, und bald dürfte die Million erreicht sein. Neben der Mehrzahl unbedienbarer Apps finden sich aber in einem derart großen Pool auch solche, die gut nutzbar sind und natürlich auch solche, die speziell für blinde und sehbehinderte Nutzer entwickelt wurden. In Mailinglisten, Diskussionsforen oder auf speziellen Webseiten erfährt der blinde Interessent, welche Apps nutzbar sind. Viele blinde begeisterte Smartphone-Nutzer nehmen auch Kontakt mit Entwicklern auf, um nachzufragen, ob eventuell bestehende Barrieren in einem der nächsten Updates ausgeräumt werden können - immer häufiger auch mit Erfolg.

Eine Art Chancengleichheit

Das Smartphone erobert mehr und mehr den Massenmarkt, verfügt bereits bei Auslieferung standardmäßig über die nötigen Werkzeuge, die es als Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen tauglich macht und verfügt daher über das Potenzial, sich auf Dauer als Hilfsmittel im Alltag zu etablieren, um behinderungsbedingte Nachteile wenigstens teilweise ausgleichen zu helfen.

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