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Es braucht nicht viel, um ein Kind glücklich zu machen.

Sternstunde

12.12.2017

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"Ich kann in keinem Geschäft Einwickelpapier finden", klagt eine Bekannte. "Du weißt schon: das mit den Fransen, in das wir früher die Süßigkeiten für den Christbaum gewickelt haben", fügt sie erklärend hinzu. Ich nicke. "Wir müssten eigentlich irgendwo noch welches haben", sage ich versonnen und nehme mir vor, bei nächster Gelegenheit danach zu suchen.

Als ich auf den Dachboden steige, um die Kartons mit der Weihnachtsbeleuchtung zu holen, stöbere ich daher neugierig in dem alten Schrank mit dem lange nicht mehr benutzten Christbaumschmuck und anderen mehr oder weniger weihnachtlichen Dekorationen. Neben Kerzenhalter, einer vergammelten Packung Honigkerzen, Lametta und unzähligen kleinen und großen Glaskugeln, schneebestäubten Tannenzapfen und silbernen Glocken entdecke ich tatsächlich in einem Karton Einwickelpapier mit Fransen. Erstaunlich: Da gibt es sogar noch welches mit Originalschleife, und in einem mehrere Zentimeter hohen Stapel dazu passende bunte Alufolien. Auch Aluscheiben in verschiedenen Größen sind massenhaft vorhanden — ein Gruß aus Kindertagen! Meine Mutter, die als Verpackerin in einem Aluminiumwerk gearbeitet hat, hatte an Weihnachten immer ein Paket mit Ausschussware erhalten, aus der wir unseren Christbaumschmuck selbst anfertigten.

Bastelstunde

Bastelmaterialien

Bildbeschreibung: Neben weißem Fransenpapier, runden Aluscheiben in verschiedenen Farben und Größen sowie einer Tube Klebstoff sind auch ein halbfertiger Alustern, in dessen einer Zacke der Bleistift steckt, über den die Zacken gedreht werden, und ein bereits eingewickeltes Pralinen in rotem Fransenpapier mit Bindfaden zu sehen.

Die Weihnachtsferien haben begonnen. Draußen ist es (zumindest in meiner Erinnerung) tief verschneit und in der Wohnküche brennt den ganzen Tag das Licht. Meine Eltern und ich sitzen um den Küchentisch. In einem Karton liegen Pralinen, in Tischmitte das Fransenpapier und ein kleiner Stapel Alufolie. Meine kleinen Finger können die einzelnen dünnen Blätter des ineinander verzahnten Fransenpapiers nicht lösen. Also gibt mir meine Mutter ein Blatt, und ich lange in den Karton mit den Süßigkeiten, nehme eines heraus und lege es mittig auf das Papier. Gespannt beobachte ich meine Mutter, wie sie zuerst das bunte Alu mit der gemusterten Seite nach unten auf den Tisch legt, das Fransenpapier so darauf platziert, dass die Fransen links und rechts über das Alu ragen, eine Praline mittig darauf legt und es flink einrollt. Geschickt verdreht sie die beiden Enden und greift nach dem Wollfaden, den sie unterhalb der Fransen an das eine Ende bindet und die Enden des Fadens verknotet. Das geht so flink und sieht so kinderleicht aus, dass ich mich eifrig an die Arbeit mache.

Ich habe ihr schon oft zugesehen. Aber mir will das einfach nicht so richtig gelingen. Einmal verrutscht das Alu, dann wieder verdrehe ich die beiden Enden zu heftig und das Fransenpapier reißt. Anstrengung und Frust treiben mir irgendwann die Tränen in die Augen, bis meine Mutter mir eine Praline zuschiebt — ganz ohne Papier, von einem Nicken begleitet, wobei sie wie immer, wenn sie lächelt, das linke Auge zukneift. Was meinem Vater, dieser Naschkatze, verboten ist, darf ich als Kind ungescholten genießen.

Mein Vater, der ebenfalls keine sehr glückliche Hand mit dem Einwickelpapier hat, nimmt sich die im Herbst gesammelten Nüsse vor und bepinselt diese zuerst mit Klebstoff und danach nach Mutters Geschmack mit allzu reichlich Silber- oder Goldfarbe, nachdem er sie mit goldenen oder silbernen Bindfäden versehen hat.

Die Schokolade ist in meinem Mund geschmolzen, aber der süße Geschmack bleibt noch eine Weile, quasi als Erinnerung an die seltene Köstlichkeit. Denn in meiner Kindheit war Naschwerk genauso rar wie Christbaumkugeln aus Glas.

Ich will auch etwas tun. Und so zeigt mir meine Mutter, wie man aus runden Aluscheiben bunte Kugeln macht. Zuerst werden sechs bis acht gleich große Aluscheiben zusammen gesucht und alle in der Mitte gefaltet. Weil ich es gerne bunt habe, falte suche ich Scheiben unterschiedlicher Farben. Die gefalteten Scheiben werden dann am Falz mit Klebstoff bestrichen und zusammen geklebt. Dazu brauche ich wieder Hilfe, damit es keine allzu große Kleckerei gibt. Außerdem wird in die Mitte noch ein Bindfaden mit eingeklebt und die Kugel nach dem Trocknen des Klebers gleichmäßig aufgefächert.

Nach der 3. Kugel beginne ich mich zu langweilen. Also zeigt mir meine Mutter, wie man aus den runden Folien Sterne fertigt. Zuerst wird die Folie in regelmäßigen Abständen etwas eingeschnitten. Die so entstandenen "Lappen" werden anschließend über einen Bleistift gedreht, die silberne Seite innen, die farbige außen — oder eben umgekehrt —, sodass rundherum Spitzen entstehen. Die Folien haben unterschiedliche Farben und Größen, und so entsteht eine bunte Sammlung von Sternen.

Meine Schnitte sind unregelmäßig tief und nicht immer gerade. Auch die Abstände von einem Schnitt zum anderen lassen an Präzision zu wünschen übrig. Dem entsprechen exotisch sehen die einzelnen Sterne dann auch aus. Zu wissen, wie es funktioniert und es dann in die Praxis umzusetzen, ist eben zweierlei. Ich bin erneut unzufrieden.

Meine Mutter tröstet mich und meint, sie hätte das auch erst üben müssen. Dass ein gut Teil meiner Probleme auf mein schwaches Sehvermögen zurückzuführen ist, erwähnt sie nicht. Dafür hat sie eine gute Idee, wie man meinen "Pfusch", wie ich es selbst nenne, verstecken kann. Da die Sterne unterschiedlich groß sind, lassen sie sich aufeinander legen und ineinander verschachteln. Dreht man sie so, dass die Zacken des oberen kleinen Sterns zwischen denjenigen des größeren liegen und platziert man einen noch kleineren Stern als dritte Etage darauf, dann sehen die unregelmäßigen Zacken fast wie beabsichtigt aus. Begeistert klebe ich die Sterne zusammen und verfahre mit drei weiteren Sternen ebenso. Unschlüssig betrachte ich die beiden Gebilde, die jetzt wie zwei Halbkugeln wirken, wenn man die Zacken noch ein wenig biegt. Kurz entschlossen klebe ich die beiden Hälften mit der großen Fläche aneinander und halte begeistert meinen "Igel" hoch. Nun muss ich nur noch durch eine der Spitzen einen Bindfaden ziehen und verknoten, und meine Kugel ist baumfertig. Eifrig versuche ich mich an Varianten, drehe die Spitzen einmal mit der silbernen, dann wieder mit der farbigen Seite nach außen, und so entsteht ein glitzerndes und buntes Gebilde, das nun doch meine Zustimmung findet.

Vaters Nüsse sind auch fertig und müssen jetzt eine Weile trocknen. In einem Karton liegen die verpackten Pralinen in ihrem Fransenkleid und der bunten "Bauchbinde", und daneben Mutters gleichmäßigen Alusterne und meine drei Fächerkugeln und die igelförmige Alukugel aus zusammen geklebten Sternen.

Weihnachten kann kommen!

Die kleinen Kostbarkeiten

Die heftigen Sturmböen, die um das Haus toben und meine inzwischen klammen Finger holen mich schließlich in die Gegenwart zurück. Ich stöbere in den diversen Kartons und finde tatsächlich noch weitere Aluscheiben in verschiedenen Größen, aber weder fertige Sterne noch Stachelkugeln. Unsere Basteleien haben die Jahre wohl nicht überstanden, sind jedoch gut aufbewahrt in meiner Erinnerung. Während die zahlreichen Glaskugeln und Glöckchen im Schrank ihre Anziehungskraft für mich längst verloren haben, empfinde ich die Erinnerung an unsere vorweihnachtliche Bastelstunde am Küchentisch als eine echte Kostbarkeit, deren Nachklang problemlos 50 Jahre überdauert hat.

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