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14.12.2013

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Für den praktischen Teil, was ein Screen Reader leistet, habe ich stellvertretend drei für mich besonders wichtige Themenbereiche gewählt.

Texte schreiben, gestalten und kontrollieren

Als ich 1973 meine Stellung als Gerichtsstenografin antrat, standen mir als Arbeitshilfen eine Schreibmaschine und ein Diktiergerät mit Tonbandspulen, später mit Mini-Kassetten zur Verfügung.

die Haupttätigkeit bestand darin, Vernehmungsprotokolle und Urteile nach Band oder direktem Diktat zu schreiben. Das Geschriebene konnte ich allerdings nicht kontrollieren. Auch das Korrigieren von Tippfehlern war nur bedingt möglich. Wir verwendeten dazu Radex-Plättchen, die mit weißem Staub das falsch geschriebene Zeichen durch neuerliches Tippen überdeckten. Wurde ich unterbrochen, musste ich mir merken, wo ich stehen geblieben war.

Beim direkten Diktat während einer Vernehmung, wo Grammatik und gefälliger Stil weniger wichtig waren als die korrekte Wiedergabe des Gesagten, war übrigens unsere Kreativität äußerst gefordert, um die oft recht verdreht wirkenden Satzkonstruktionen einigermaßen zurechtzubiegen. (Ich habe heute noch eine Sammlung der interessantesten Stilblüten aus dieser Zeit.)

Während ich diesen Text schreibe, mit Tippfehlern und oft unzulänglicher Wortwahl fühle ich mich ganz entspannt. Ich kann das Geschriebene hinterher mit meiner Braille-Zeile lesen, Zeichen einfügen, löschen oder korrigieren, ganze Passagen verschieben und mir abschließend den Text von meiner Sprachausgabe vorlesen lassen. Denn: Ein gelesener Text wirkt anders als ein gehörter, und es sollen schließlich beide Sinne bedient werden.

Die Post ist da

Bis weit in die 1980er Jahre hinein war ich immer darauf angewiesen, dass mir jemand meine Post vorliest. Oft genug musste ich einige Tage Poststücke liegen lassen. Zum einen ist nicht immer jemand zur Hand, zum anderen gibt es durchaus Schriftstücke, die man sich nicht von jedem vorlesen lassen möchte, wie etwa Kontoauszüge.

Ob Brief, Handout eines Meetings oder gleich ein ganzes Buch - heute lege ich das Schriftgut in meinen Scanner, und eine Erkennungs-Software (OCR = Optical Character Recognition) wandelt das Bild in digitalen und somit mit Screen Readern lesbaren Text um. Selbst bei schlechter Erkennung erfahre ich so zumindest, um welche Art Schriftstück es sich handelt und kann entscheiden, wem ich es anvertraue.

Wie viele Bücher ich mir auf diese Weise erschlossen habe, die weder in Braille-Schrift noch als Hörbuch zu haben waren, habe ich nicht gezählt. Es waren aber zehntausende von Seiten, da bin ich sicher.

Auf all diese digitalen Texte kann ich aber nur deshalb zugreifen, weil ein Screen Reader am PC, im Organizer oder am Smartphone diese mittels synthetischer Sprache oder Braille-Zeile wiedergibt.

... Dann sehe ich eben nach

Lange Zeit waren es meine Eltern, Erzieher im Internat und Lehrer sowie Mitschüler mit Sehrest, die für mich wichtige Dinge herausfinden mussten: Die nächste Bahnverbindung, eine Telefonnummer, Daten und Fakten für Schularbeiten, Preise von Produkten und vieles mehr. Tageszeitung zu lesen war völlig undenkbar und beim Besuch eines klassischen Konzerts musste ich mich eben überraschen lassen, wenn niemand da war, der mich über das Programm informiert hätte.

Ob Bahnverbindung, Telefonnummer, Konzertprogramm, Preisvergleich, Tageszeitung, Fachmagazin, das Geburtsdatum von Bertolt Brecht oder die Namen der amerikanischen Präsidenten - heute nutze ich einfach das Internet, um die benötigte oder gewünschte Information einzuholen. Geradezu als Luxus empfinde ich die Möglichkeit, nicht nur dringend Benötigtes zu lesen, sondern einfach zu stöbern, was es sonst noch gibt, mich festzulesen und Zeit und Ort darüber zu vergessen.

Die Nutzung eines Screen Readers für Beruf und Alltag ist aus meinem Leben nicht wegzudenken. Ich bin größtenteils unabhängig von fremder Hilfe, kann meinen persönlichen Neigungen nachgehen und mir so die Welt der Schrift in einem Umfang erschließen, von dem ich vor 30 Jahren nicht einmal zu träumen gewagt habe.

Einen ganz wichtigen Stellenwert hat für mich auch die Korrespondenz, die heute vorwiegend papierlos über die Bühne geht. Endlich gibt es auch für mich ein Briefgeheimnis und die Möglichkeit des vertraulichen schriftlichen Gedankenaustauschs; sei es nun via E-Mail, Chat oder Twitter. (Dass vielleicht doch jemand mitlauscht, muss ich wohl in Kauf nehmen.)

Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass es heute keine offene Tür nach draußen in die Welt gibt. Das liegt zum Teil wohl daran, dass sich die mir durch Screen Reader erschlossene private Welt so unglaublich groß und weit anfühlt.

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