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Viel Sonne, Wald und Wasser.

Berliner Impressionen
Im Grünen — und gar nicht jwd

Juli 2014

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Auch der Freitag zeigt sich von seiner strahlendsten Seite, und das gleich am Morgen. Nach dem gestrigen Feuerwerk an architektonischen Eindrücken steht heute Erholung im Grünen auf dem Programm. Wir wollen einen Ausflug nach Köpenick unternehmen, dem größten Berliner Bezirk mit den größten Wald- und Wasserflächen und der geringsten Bevölkerungsdichte.

Hannes möchte während der Anreise so viel wie möglich von der Umgebung sehen. Daher wählen wir erneut nicht die schnellste Route, sondern entscheiden uns für eine eineinhalbstündige Fahrt mit zwei Buslinien kreuz und quer durch den Süden Berlins. Wir fahren durch sehr grünes und nicht dicht besiedeltes Gebiet und landen schließlich nach zahlreichen Umwegen wegen mehrerer Baustellen direkt am Schlossplatz Köpenick. Aber das Schloss ist heute nicht unser Ziel, obwohl eine Besichtigung sicher interessant wäre — ein anderes Mal vielleicht und bei nicht ganz so tollem Wetter.

Noch ein Modell

Auch hier gibt es ein Bronzemodell, das mir bei der Erfassung der Altstadt Köpenick und des Luisenhains helfen wird. Diesmal weiß Hannes nicht, wie wir dorthin kommen und wir vertrauen daher ganz auf die Wegbeschreibung, der wir nun Anweisung für Anweisung folgen. Das stellt sich als gar nicht so einfach heraus, weil bei der Unebenheit des Gehwegs die in der Beschreibung erwähnten Bodenmarkierungen nicht eindeutig als solche zu identifizieren sind. Offenbar findet zudem gerade eine Art Kundgebung statt, zumindest lässt der Menschenandrang das vermuten. Also fragen wir jemanden nach dem Modell, und es stellt sich heraus, dass wir nur wenige Meter davon entfernt sind, getrennt nur durch viele Menschen, die Hannes die Sicht versperren. Also hat auch diese Wegbeschreibung den "Test" bestanden.

Modell Altstadt Köpenick

Schon das Modell zeigt mir durch die vielen angedeuteten Bäume, dass wir hier in einer grünen Oase gelandet sind. Genau genommen befinden wir uns auf einer Insel, gebildet von der Dahme und der Spree. Ich gebe zu, dass mich das Modell nach dem gestrigen Erlebnis im Modellpark nicht mehr ganz so stark fesseln kann, aber es erfüllt sehr gut seine Aufgabe und vermittelt mir einen Eindruck der Lage der Gebäude und der Wasserwege. Als wir zur Anlegestelle kommen, legt gerade ein Ausflugsschiff ab, und weiter rechts kann ich ein weiteres Schiff hören.

Rundgang im Grünen

Schiffe auf der Spree

Wir gehen immer am Wasser entlang, rechts Hotels, Wirtschaften und Privatgebäude, links das Wasser. Je weiter wir uns vom Luisenhain entfernen, desto seltener begegnen wir Menschen. Wären da nicht in der Ferne mehrstöckige Häuser, könnte man glauben, auf Landurlaub zu sein.

Blick auf den Katzensteg

Auf dem Katzensteg halten wir uns eine ganze Weile auf, und Hannes beobachtet die vielen Schiffe — vom Ruderboot bis zum kleinen Ausflugsschiff ist alles vertreten. Hier fließt die Dahme in die Spree.

Baumgruppe

Es wird Zeit für eine Rast. Wir finden einen zur Sitzgelegenheit umfunktionierten Baumstumpf. Still ist es hier. Von weither ist gedämpftes Motorengeräusch zu hören, und hie und da rumpelt eine Straßenbahn über eine Brücke. Wir lauschen dem Plätschern der Wellen, am anderen Ufer halten offenbar einige Jugendliche ein Picknick. Ja, auch das ist Berlin.

Während der monatelangen Vorbereitung auf unsere Reise habe ich viele Webseiten besucht und mich immer wieder irgendwo festgelesen. Und weil wir es gerade so gemütlich haben, erzähle ich Hannes von den "7 Köpenicker Weltwundern", über die ich im Rundgang gelesen habe.

Es ist längst Mittag vorbei, und wir wandern langsam zurück in die belebte Altstadt, um im bekannten Restaurant Luise eine Kleinigkeit zu essen, vor allem aber, um den Flüssigkeitshaushalt zu regeln.

Die kleinen Hürden

Beim Auffinden des Restaurants hilft uns wieder eine Wegbeschreibung. Aber wir wollen ja nicht ins Restaurant selbst, sondern in den großen Gastgarten, finden aber keinen Eingang und umrunden daher den gesamten Block. Endlich findet Hannes einen Durchschlupf, und wir sind drin. Wie bei diesem Wetter nicht anders zu erwarten, ist es rappelvoll, und Hannes sucht vergeblich nach zwei freien Plätzen — keine leichte Aufgabe. Endlich glaubt er, etwas gefunden zu haben. Dabei orientiert er sich an der Anzahl der Köpfe rund um den Tisch, und ein Tisch mit nur zwei Köpfen müsste Platz für uns haben. Als wir fragen, ob noch frei ist, stellt sich heraus, dass einer der Köpfe sozusagen untergetaucht ist — ein etwa 10-jähriges Mädchen, das am Rasen neben dem Tisch Rad schlägt. Eine ältere Dame fordert uns auf, ihren Rollator beiseite zu schieben und verrät uns, dass am Nebentisch auch noch ein freier Stuhl steht, den wir holen können. Und schon sitzen wir gemütlich bei zwei Damen und dem Rad schlagenden Mädchen.

Meine Tischnachbarin ist eine geborene Köpenickerin und erzählt über die Unterschiede vor und nach der Wende, vor allem, was das Angebot an Restaurants und Geschäften angeht. Sie ist sichtlich stolz darauf, nicht auf die Rente ihres Mannes angewiesen zu sein, sondern auch eine eigene Rente zu haben, die ihr ein gutes Auskommen ermöglicht. Jetzt hat sie Lust auf einen Schweinebraten, wie sie uns verrät, und gibt ihre Bestellung auf. Der Kellner meint bedauernd, dass sie gerade eine Hochzeitsgesellschaft hätten und es bis zu einer Stunde dauern könnte. Daher beschließen Hannes und ich spontan auf eine Mahlzeit zu verzichten und bestellen nur zwei Flaschen Wasser. Unsere Tischgenossin meint, ihr mache das Warten bei diesem Wetter nichts aus und bleibt bei ihrer Bestellung. Nach knapp zehn Minuten erscheint dann der Kellner doch mit einem köstlich duftenden Schweinebraten, den er ihr mit den Worten "speziell für Sie" schmunzelnd hinstellt.

Während wir unser Wasser trinken, genießt meine Nachbarin ihren Schweinebraten und erzählt uns unaufgefordert, dass auch Klöße und Kraut köstlich schmecken. Als sie aufgegessen hat, verabschieden wir uns und machen noch einen Rundgang durch die Altstadt.

Wir sind eben brave Touristen

Skulptur des Hauptmann von Köpenick

Wir stehen schon bei der Straßenbahnhaltestelle, als uns einer der Männer, die auf einer Bank sitzen, zuruft: "Na, habt ihr dem Hauptmann schon die Hand geschüttelt?" Als wir verneinen, weist er mit dem ausgestreckten Arm irgendwohin und meint mit deutlich hörbarem Grinsen: "Da drüben beim Rathaus steht er ja." Den hatte Hannes bei unserem Rundgang gar nicht gesehen. Wir wenden uns der Gruppe zu und fragen nach, ob er die Anweisung etwas präziser formulieren kann — quasi wie ein sprechender Richtungspfeil. Ja, kann er, wie sich zeigt. Und darum marschieren wir brav über die Straße und machen dem berühmten Mann unsere Aufwartung.

Für die Heimfahrt nehmen wir nicht mehr den langen Umweg per Bus, sondern folgen dem Rat unserer Tischnachbarin aus dem Restaurant, die genau weiß, welche Straßenbahn wohin fährt und welche Linie mit barrierefreien Zügen unterwegs ist. Für sie als Nutzerin eines Rollators ist das wichtig, für uns ist es ein nützlicher Hinweis, um die Linien zu unterscheiden.

Für die etwa 40-minütige Fahrt nach Hause brauchen wir keine technische Unterstützung mehr. Inzwischen sind wir auf manchen Strecken und Bahnhöfen schon fast zu Hause.

Den Abend lassen wir dann gemütlich beim Italiener gleich um die Ecke ausklingen. Denn inzwischen haben wir echten Kohldampf, und ich bin zu bequem, um ein Restaurant herauszusuchen, wo doch der Italiener keine 500 Meter entfernt ist.

Man merkt deutlich, dass hier öfter blinde Gäste hereinschneien, denn wir werden schon am Eingang zum Garten abgefangen und zu einem freien Tisch geleitet. Nach kurzer Zeit liegt auch eine Speisekarte in Braille-Schrift vor mir, und wir können wie alle anderen Gäste zuerst mit leerem Magen in der Speisekarte schwelgen und wählen — für die meisten banale Selbstverständlichkeit, für uns ein weiteres Stück Unabhängigkeit.

Da noch immer die Sonne scheint und ohnehin nicht alle Tische besetzt sind, bleiben wir nocheine ganze Weile sitzen — eine gute Gelegenheit für Hannes, noch einen (zweiten) Nachtisch zu nehmen.

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