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Nicht alles ist für Geld zu haben.

Am Rande der Legalität

September 2012

Zu den (4) Kommentaren

Endlich ist es da, das neue Buch, auf das ich so sehnsüchtig gewartet habe. Also auf in den Buchladen (oder online bestellen). Aber was mache ich dann mit dem Buch? Ich kann es ja so nicht lesen.

Selbsthilfe

Also setze ich mich mit meiner Neuerwerbung vor den Computer und Seite für Seite einscannen. Je nach Umfang des Buches füllt diese Beschäftigung einen oder auch mehrere Abende. Aber im Leben ist es ja oft so, dass man Dinge einfach aussitzen muss.

Das Ergebnis ist ein mehr oder weniger fehlerbehaftetes Dokument im Textformat - je nach Beschaffenheit von Papier und Schriftart. Es gibt ja Menschen, die dann über Scan-Fehler einfach hinweg lesen können, ich schaffe das nicht. Es mag beruflicher Zwang sein, aber ich muss einfach Fehler, wenn ich sie bemerke, korrigieren.

Fazit: Diese Methode der Aufbereitung von Literatur ist sicher am schnellsten, nicht unbedingt am effizientesten und sie bewegt sich am Rande der Legalität. Denn genau genommen darf von erworbenen Büchern keine wie immer geartete Kopie angefertigt werden. Meine persönliche Rechtsmeinung, dass ich mit dem legalen Erwerb eines Buches auch das Recht erworben habe, dieses zu lesen, weil das Original für mich nicht nutzbar ist, deckt sich jedenfalls nicht unbedingt mit der geltenden Judikatur.

Digitale Quellen

Ich könnte natürlich auch ein eBook kaufen oder eine Kindle-Ausgabe, die sogar ein wenig billiger ist als das gedruckte Buch. Aber wie mache ich mir dieses Format zugänglich?

Amazons Kindle ist nach meinem derzeitigen Wissensstand für blinde Menschen nicht nutzbar - zumindest nicht mit erlaubten Mitteln.

Formate wie ePub und Kindle haben auch den Nachteil, dass man dazu ein spezielles Endgerät oder Programm benötigt. Es heißt also sich an ein neues System zu gewöhnen, neue Befehle zu erlernen und die Unabhängigkeit beim Lesen geht verloren.

Für fast alle digitalen Formate gilt, dass sie einen DRM-Schutz haben, der nicht entfernt werden darf. Und damit ist das elektronische Format für blinde Menschen legal nur dann lesbar, wenn die dazugehörige Software verwendet wird - sofern diese barrierefrei ist.

Ein Versuch mit ePub

Ich starte dieses Thema mit einem herzlichen Dank an Petra Raissakis, der Inhaberin von www.anderssehen.at. Ohne ihre tatkräftige Unterstützung durch ihr Fachwissen zum Thema elektronische Bücher hätte ich mich in dem Dschungel sicher verirrt und frühzeitig aufgegeben.

Hier eine kleine Bestandsaufnahme, was ich auf meinem Windows-PC benötige, um ePub-Bücher lesen zu können:

Als 1. Schritt muss ich Python installieren. Dies ist Voraussetzung, um das benötigte Leseprogramm ADE (Adobe Digital Edition) überhaupt installieren und nutzen zu können.

Der 2. Schritt ist die Installation von Degital Edition, jedoch muss ich die noch im Betastadium befindliche Version mit Accessibility-Unterstützung wählen, da die derzeitige Release 2.7 für blinde Nutzer nicht oder zumindest extrem schlecht zugänglich ist.

Der 3. Schritt ist die Erstellung einer ID bei Adobe.

Alle drei Schritte waren ohne fremde Hilfe durchführbar. Nun kann ich entweder bereits vorhandene ePub-Bücher importieren oder online ePub-Bücher kaufen,herunterladen und mit ADE öffnen und lesen.

Für mich ist dies bloß die halbe Miete, denn ich möchte meine Bücher nicht am PC lesen, sondern irgendwo unterwegs, in einem Wartezimmer, in der Eisenbahn oder auch im Bett.

Daher muss ich als 4. Schritt ein Umwandlungsprogramm installieren, das aus ePub-Bücher Text erzeugt. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn es sich um ein freies, also nicht DRM-geschütztes Buch handelt. Damit scheiden schon einmal alle gekauften Werke aus. Sollte ich diesen Schutz entfernen, bewege ich mich nicht nur am Rande der Legalität, sondern habe bereits eine Grenze überschritten.

Book-Reader inklusive

Wesentlich besser funktioniert es mit Apples iBooks. Damit kann ich sowohl ungeschützte als auch gekaufte und DRM-geschützte Bücher direkt am iPhone lesen - korrekter ausgedrückt: hören und über iTunes auch andere gekaufte ePub-Bücher hinzufügen. Der Screen Reader VoiceOver unterstützt dieses Format und somit ist das Buch auch zugänglich. Ich kann es aber nur in synthetischer Sprache hören und nicht lesen. Um es in "meiner Schrift", nämlich der Braille-Schrift, zu lesen, muss ich eine Braille-Ausgabe mit dem iPhone verbinden und benötige somit gleich zwei Geräte. Darüber hinaus liebe ich es nicht sehr, alle paar Zeilen blättern zu müssen. Auch das unterbricht den Lesefluss. Ich habe zwar die Schrift ganz klein gestellt, damit viel auf die Seite passt (warum nicht Vorteil aus dem fehlenden Sehvermögen schlagen?), aber echtes Lesevergnügenkommt trotzdem nicht auf.

Und was ist mit Audio?

Ich bin ein "Leser" und kein "Hörer". Ich möchte ein Buch mit meinen Fingern erfassen, in Braille-Schrift, und nicht hören. Diesen Anspruch des "Selbstlesens" teile ich mit sehr vielen Lesern, die lieber ein Buch in Händen halten und sich den Inhalt mittels Schrift erschließen wollen und für die ein Hörbuch oder eine elektronische Version eine Notlösung darstellt.

Die Anwendung iBooks auf dem iPhone ist zwar zugegebenermaßen die beste Möglichkeit, Neuerscheinungen zeitgleich zugänglich nutzen zu können, geht aber an meinen persönlichen Bedürfnissen dennoch vorbei - oder aber, ich muss mich erst an diese neue Methode gewöhnen, so wie ich mich jahrelang an das Einscannen von Büchern gewöhnt habe.

Und weil ich eben kein auditiver Typ bin, so gehen auch die meist zeitgleich erscheinenden Hörfassungen von Büchern an meinem Bedarf vorbei. Ganz zu schweigen davon, dass kommerzielle Hörbücher meist enorm gekürzt sind und ich nun einmal das ganze Buch lesen möchte und nicht jene Auszüge, die ein Lektor ausgewählt hat. Auch dann nicht, wenn, wie in den meisten Fällen, die gekürzten Fassungen wirklich gut gelungen sind.

DAISY und Braille

Bei der Vielzahl an Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt ist es einfach nicht möglich und auch wirtschaftlich nicht vertretbar, alle Bücher als Hörbücher im DAISY-Format oder auch als Bücher in Braille-Schrift zu produzieren.

Bei DAISY handelt es sich um ein navigierbares Audio-Format. So können Überschriften, Seitenzahlen oder auch Absätze gezielt angesprungen und gelesen werden. Verglichen mit einem kommerziellen Hörbuch auf CD bietet diese Struktur einen hohen Komfort. Aber auch wenn die Sprecher gut geschult sind und einen hervorragenden Job machen - es bleibt ein Audio-Format, und ich greife nur dann danach, wenn ich ein Buch im wahrsten Sinne des Wortes nicht unter die Finger bekommen kann. Auch dauert es naturgemäß eine gewisse Zeit, bis ein neu erschienenes Werk aufgelesen wird - falls es wegen des Überangebots je zu einer Produktion kommt.

Gleiches gilt noch in höherem Maße für Bücher in Braille-Schrift, wobei hier die Auslese noch enger ist. Aufgrund des Aufwands (scannen, korrigieren, formatieren) und des zu erwartenden Volumens muss sehr genau überlegt werden, welche Bücher produziert werden. Da Braille-Bücher aufgrund des Umfangs kaum gekauft, sondern nur entlehnt werden, haben diese Bücher extrem geringe Auflagenzahlen, was für die normale Buchproduktion völlig undenkbar wäre und die Kosten empfindlich in die Höhe schnellen lassen.

Lesen auf meine eigene Art

Ich habe an ein Buch den Anspruch, dass es sofort und in der für mich am besten konsumierbaren Form verfügbar ist. Und das ist nun einmal simpler Text - meinetwegen ohne jegliche Struktur, so lange es sich um Belletristik und keine Sachbücher handelt. Ich möchte das Buch unterwegs mit meinen Fingern störungsfrei lesen und es sollte daher auf meinen Organizer kopiert werden können. Im normalen Handel wird mir kein solches Format angeboten, also scanne ich eben oftmals selber und begebe mich damit an den Rand der Legalität.

Der Status quo in Kurzform

Was ich hier skizziere, ist nichts weiter als eine Darstellung der Fakten, wie sie sich mir präsentieren. Sinn dieses Beitrags ist es nur einmal aufzuzeigen, wie schwierig es sein kann, ein braver Bürger zu bleiben und wie sehr manche gesetzlichen Bestimmungen an der Realität des Lebens vorbei gehen.

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4 Kommentare

  1. Fritz schrieb am Freitag, 14.09.12 14:29 Uhr:

    Es gibt Dinge, die machen zweifelsohne Sinn:
    Das Verbot, Kopien von Büchern anzufertigen ebenso, wie die Erfindung und Einführung von Elektoautos. Für sehbehinderte Menschen mit einem Sinn für Recht und Ordnung ist ersteres lästig, oder im schlimmsten Fall hinderlich, letzteres potenziell lebensgefährlich.
    Aufgabe des Gesetzgebers sollte es sein, beide Fälle im Sinne der Gleichstellung zu entschärfen.

  2. Sandra schrieb am Montag, 24.09.12 13:18 Uhr:

    Die Lage ist natürlich genau so, wie Du sie darstellst. Ich möchte nur gern anmerken, dass Daisy an sich nicht wirklich ein nur-Audioformat ist. Der Daisy-Standard sieht auch vor, dass man bücher im Volltext zugänglich machen kann. Es gibt nur-Textdaisy, Daisy mit Audio und Text, und dann eben Daisy die nur Audio enthalten. Leider ist die letztgenannte Variante die, die hier meist verwendet wird. Aber in Bookshare gibt's z.B. sehr viel Daisy nur mit Text.

  3. Eva schrieb am Montag, 24.09.12 14:16 Uhr:

    Hallo Sandra,
    Vielen Dank für deine Korrektur zum Thema DAISY. Bedauerlicherweise gibt es kaum DAISY-Bücher mit Audio und Braille - und wenn, dann gibt es meist Probleme mit den deutschen Umlauten im Text. Teilweise liegt es aber auch an den Endgeräten, mit denen meist nur die Audio-Funktion genutzt werden kann, wenn man von PC-Programmen einmal absieht. DAISY wäre für viele Anwendungen ein ideales Format.

  4. Tobias schrieb am Mittwoch, 24.04.13 14:59 Uhr:

    Sehr gute Zusammenfassung des Status Quo. Interessieren würde mich nur, was Du mit den selbst gescannten Büchern machst. Druckst Du die in Blindenschrift aus oder kopierst Du sie auf ein Braillesystem? Falls Variante II zutrifft: Worin besteht dann noch der Vorteil gegenüber dem Kauf eines EBooks, das man beispielsweise auf dem Iphone nutzen kann? "Scrollen" muss ich doch dann auf der Braillezeile in beiden Fällen.

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