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Sie fühlen sich unsicher, wie Sie mit blinden Menschen am besten Kontakt aufnehmen? Einfach ansprechen, bevor Sie zupacken! :-)

Zwiegespräche - Begegnungen mit Menschen haben immer Saison

2009

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Aktive Hilfe und zwischenmenschliche Kontakte mit Passanten sind in der warmen Jahreszeit deutlich häufiger und vor allem intensiver, aber gerade in der unwirtlichen Jahreszeit besonders hilfreich. Die meisten Begegnungen sind flüchtig; manchmal jedoch entwickeln sich auch "Weggemeinschaften".

Sie kennt meine Bedürfnisse und ich die ihrigen

Da ist zum Beispiel die alte Dame mit ihrem Krückstock und den Schmerzen im linken Knie, die auch nach der Operation nicht besser geworden sind. Ihre Tochter wohnt "über der Donau", ist derzeit aber auf Kreta ... Vielleicht weiß ich mehr über ihre momentane Situation als ihre Nachbarin.

Sie weiß genau, wo ich im Straßenverkehr Schwierigkeiten habe. Kennen gelernt haben wir uns zu Frühlingsbeginn während der Schneeschmelze, als ich gerade zum wie vielten Mal? mir in einer der vielen Pfützen die Schuhe mit Wasser angefüllt habe. Sie hat mich beobachtet, wie sie mir freimütig gestanden hat; denn es hat schon eine Zeit gedauert, bis sie den Mut gefunden hat mich anzusprechen.

Wir kommen gemeinsam eher langsam voran, aber dennoch profitieren wir voneinander - und zwar in mehrfacher Hinsicht:

Fährt die Straßenbahn ein, drückt sie den Türöffnungs-Knopf, damit ich nicht die schmutzige Straßenbahn danach abtasten muss. Sobald sich die Türe öffnet, stelle ich mich auf die erste Stufe, denn meine Begleiterin braucht mehr Zeit um einzusteigen und muss erst den Stock in die richtige Position bringen.

Dann verrät sie mir, wo zwei Sitzplätze nebeneinander frei sind und ich besetze sie rasch, damit wir unser begonnenes Gespräch fortsetzen können.

Reden und kommunizieren sind zweierlei

Nicht immer klappt die Verständigung so perfekt und die Ursachen für so manchen geradezu unzusammenhängenden Dialog liegen keineswegs in fehlenden Kenntnissen der deutschen Sprache, wie das folgende kuriose Erlebnis.

Es ist Sommer und die Sonne wärmt schon am frühen Morgen. Ich warte bei einer Straßenbahnstation, an der zwei unterschiedliche Linien verkehren. Als ich einen herannahenden Zug höre, wende ich mich an die Person links neben mir und frage: "Welche Linie kommt gerade, bitte?" Nach einer kurzen Pause - die Straßenbahn hat inzwischen gehalten und die Türen stehen offen - kommt die Gegenfrage: "Wohin möchten Sie denn?" Die Frage gefällt mir genauso wenig wie der Tonfall, in dem sie gestellt wird. So redet man mit einem Kleinkind.

Bis ich jetzt erklärt habe, wohin ich will - eine Information, die weder meiner Gesprächspartnerin noch mir dienlich ist -, fährt die Straßenbahn sicher wieder ab. Aber heute ist Freitag und die Sonne scheint warm. Ich bin früh dran und habe Zeit. Soll die Straßenbahn doch fahren! Mich interessiert, wie sich dieser missglückte Gesprächsbeginn weiter entwickelt. Eine Neugierde, die in der kalten Jahreszeit erst gar nicht aufkommt.

Also erkläre ich geduldig (ganz wider meine Natur): "Ich benötige die Linie 1. Die fährt zur Prater Hauptallee." Wieder eine kurze Pause. "Kann ich Ihnen helfen?" ...

Dieser Dialog (eigentlich handelt es sich ja um zwei Monologe) ist weder erfunden noch handelt es sich um einen Einzelfall. Es ist mir ein wenig peinlich zugeben zu müssen, dass ich in solchen Fällen keineswegs immer so locker reagiere wie diesmal. Vor allem bei Schlechtwetter wende ich mich eilig ab und frage den Fahrer der Straßenbahn. Er muss schließlich wissen, wohin seine Reise geht.

Die Kunst zu beobachten

Die Straßenbahn ist überfüllt. Neben mir erzählt eine ältere Dame ihrer Freundin, wie oft sie innerhalb Wiens schon umgezogen ist und ich höre mit halbem Ohr zu. Die andere Hälfte meiner Aufmerksamkeit gilt der Tonbandansage, damit ich meine Haltestelle nicht verpasse.

Es ist Herbst und der Regen trommelt lautstark aufs Dach der Straßenbahn. Unwillkürlich ziehe ich die Schultern hoch, als sich die Türen öffnen und ich in den strömenden Regen hinaustrete - neben mir die Dame mit den vielen Adressen. Nach ein paar Schritten spricht Sie mich an und fragt mich, wohin ich gehe. "Ich muss zur U-Bahn", sage ich, und sie beginnt am Lederriemen meiner Handtasche zu zerren (wie ich das hasse!).

Es gibt einen Ruck nach rechts, begleitet von den Worten "Sie müssen da rein!" Muss ich nicht! Manchmal bin ich störrisch wie ein Esel. Daher versuche ich meinen Weg in Gehrichtung fortzusetzen, damit ich auf den tastbaren Leitstreifen treffe, der den ungehinderten Eingang in die U-Bahn-Station kennzeichnet. Daraufhin beginnt ein kleines Kräfteziehen, wobei ich nicht genau erkennen kann, in welche Richtung mich die Hand zieht. Ein Lederriemen ist ja schließlich keine Deichsel.

Am Ende gebe ich resigniert meiner Handtasche zu Liebe nach, wenn auch eher widerwillig, und lasse mich halb ziehen, halb schieben. Schließlich kenne ich die Station seit langem und finde mich zur Not auch ohne taktile Orientierungslinien zurecht.

Aber heute habe ich offenbar meinen belehrenden Tag und fühle mich bemüßigt, meine Helferin über Vorhandensein und Sinn der Bodenmarkierungen aufzuklären. "Aha", sagt die Dame, und ihrem Tonfall entnehme ich, dass wohl die Worte angekommen sind, die Botschaft jedoch nicht. Vielleicht plant sie ja gedanklich bereits ihren nächsten Umzug.

Ich bedanke mich lahm, setze meinen Weg - weiterhin abseits vom Leitsystem - fort, als mich eine tiefe männliche Stimme in gebrochenem Deutsch informiert: "Rechts Linien für Stock." Erstaunt bedanke ich mich und korrigiere meine Gehrichtung.

Es ist einfach verblüffend: Die gestandene Wienerin hat keine Ahnung von dem seit vielen Jahren bei U-Bahn-Haltestellen für blinde Menschen installierten Leitsystem, während der Wahlösterreicher bestens informiert zu sein scheint.

Vielleicht ist es auch ganz natürlich, dass Menschen mit verbalen Verständigungsschwierigkeiten einfach die Kunst der Beobachtung besser beherrschen als andere.

Kommunikation ohne viele Worte

Ich steige aus dem Bus und suche einen Weg zwischen jetzt im Winter leeren Blumentrögen, vorbei an dem Fahrradständer und an einem widerrechtlich geparkten Fahrzeug, das genau auf dem Tastbaren Orientierungsstreifen steht. (Der ist eigentlich für meinen Langstock gedacht).

Endlich erreiche ich ohne weitere Hindernisse den Eingang zur U-Bahn und beschleunige erfreut mein Gehtempo. Vor mir höre ich das Geräusch der Rolltreppe und ich steuere zielsicher darauf zu.

Im Durchgang stößt mein Stock gegen etwas Weiches und ich bleibe stehen. Der Zeitungsverkäufer hat wohl seine Ware hier abgelegt - für ihn strategisch günstig, für mich jedoch ein Hindernis.

Aber er ist ein aufmerksamer Mann, lässt seine Kundschaft kurz stehen und läuft auf mich zu. Ich kann es genau hören, weil das Kleingeld in seiner Tasche klimpert. Er nimmt mich am Ellbogen, steuert mich sicher an seinen Zeitungen vorbei direkt auf die Rolltreppe zu, legt meine Hand auf den Handlauf und gibt mir einen sanften Klaps auf die Schulter. So als wollte er sagen: Sorry für den Aufenthalt.

Kommunizieren heißt verstehen

Kommunikationstechniken haben einen starken optischen Anteil und darum ist es auch nicht verwunderlich, dass bei fehlendem Blickkontakt ein krasser Einbruch in die Verständigungsmöglichkeiten erfolgt. Das ist manchmal selbst bei guten bekannten so, erst recht bei zufälligen Bekanntschaften unterwegs, die meist nicht mehr sind als eine flüchtige Begegnung.

Mit Offenheit, Interesse und dem Mut zur Frage lassen sich, wie in der ersten Begegnung geschildert, visuelle Kommunikationsbarrieren aber gut überbrücken. Wenn wir die Bedürfnisse eines Menschen kennen oder kennen lernen, fällt es uns meist auch leicht, auf diese einzugehen.

Der Versuch einer Verständigung in der gleichen Sprache muss nicht unbedingt zu einer sinnvollen Kommunikation führen, wie meine zweite Begegnung zeigt. Auch wenn beide Gesprächspartner Deutsch sprechen, haben sie nicht zwangsläufig dieselbe Sprache und finden daher keinen Zugang zueinander.

Die deutsche Sprache verfügt für die visuelle Wahrnehmung bezeichnenderweise über zwei Wörter: sehen und schauen. Ich denke, der Unterschied wird in der dritten Begegnung ziemlich deutlich.

Dass sich sowohl sprachliche Barrieren als auch der fehlende Blickkontakt überbrücken lassen, zeigt mein Kontakt mit dem Zeitungsverkäufer. Meist grüßt er freundlich, oft höre ich ihn nur geschäftig seine Kunden bedienen, wobei das Münzgeklapper immer seine Bewegungsrichtung verrät. Wenn ich auf Hindernisse treffe, ist er aber meist zur Stelle.

Dass er mir noch nie eine Zeitung verkaufen wollte, spricht dafür, dass unsere nahezu wortlose Verständigung zum Verstehen geführt hat.

"Kontaktsaison"

Zweifellos hängt Kommunikation vorrangig von den beteiligten Menschen ab, von deren und meiner Offenheit, aber auch von Stimmungen, ob nun durch persönliche Erlebnisse oder auch nur der Witterung verursacht.

Eines steht für mich zweifelsfrei fest: Auf meinen Wegen durch die Großstadt hat der Kontakt mit Menschen ganzjährig Saison, sei es nun aus Notwendigkeit, Zufall oder der puren Freude an angenehmer Gesellschaft.

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