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Der öffentliche Verkehr in Wien bietet blinden und sehbehinderten Verkehrsteilnehmern eine Reihe von Orientierungshilfen und damit auch Sicherheit.

POPTIS - Wenn das Gedächtnis nicht reicht

August 2010

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Ich lebe sehr gern in Wien. Die Stadt hat nicht nur Charme, sondern auch eines der besten öffentlichen Verkehrsnetze, die ich kenne. Das trifft sowohl auf die Dichte der Linien und Stationen als auch den Fahrplan zu.

Besonders schätze ich die U-Bahn. Einerseits muss man kaum je lange auf sie warten, andererseits ist es da unten im Sommer vergleichsweise kühl, während sie in der kalten Jahreszeit Schutz vor Kälte, Wind, Regen und Schnee bietet.

So sehr ich diese Annehmlichkeiten auch zu schätzen weiß, noch wichtiger sind mir die mit dem Langstock deutlich fühlbaren Sicherheitslinien, an denen ich mich gefahrlos entlang bewegen kann und die mich vor einem Sturz auf die Geleise bewahren. Von ihnen weiche ich nicht ab, da bin ich stur.

Sicher unterwegs zu sein, ist die eine Sache, aber auch dort anzukommen, wo man hin möchte, eine andere. Den Weg von zu Hause zur Arbeit und zurück sowie zum Blindenverband, mein Lieblings-Restaurant oder den Bahnhof sind in meinem Kopf gespeichert, aber oft ändern sich meine Pläne spontan und damit der Weg. dann ist es Zeit die Hilfe von POPTIS (POPTIS = Pre - On - Post - Trip - Informations - System) in Anspruch zu nehmen.

Wer oder was ist POPTIS?

Nein, POPTIS ist nicht der Name eines Blindenführhundes oder einer Hilfsorganisation, die ich anrufe, sondern dahinter verbirgt sich eine umfangreiche Sammlung von verbalen Wegbeschreibungen für das Wiener U-Bahnnetz. Wie Zahnräder greifen die Texte ineinander, um Zugang, Einstieg, Umstieg, Ausstieg und Ausgang miteinander sinnvoll zu verknüpfen. Es handelt sich also nicht bloß um lose aneinander gereihte lineare Texte, sondern um ein hierarchisches System, in mehrere Ebenen gegliedert, vergleichbar einem Lehrbuch mit vielen Haupt- und Unterkapiteln.

Wie nutzt man POPTIS?

Den Nutzen eines solchen Systems habe ich allerdings erst erkannt, als mich meine eigene Spontaneität vorübergehend in Verlegenheit gebracht hat.

Ich bin in der U1 auf dem Weg vom Praterstern nach Hause, als mein Handy läutet. Eine Bekannte teilt mir mit, sie habe eben die bestellten Specksteine geliefert bekommen und wir könnten uns am Westbahnhof zwecks Übergabe treffen. Ich sage erfreut und spontan zu. Nach Beendigung des Gesprächs überlege ich mir die Änderung meiner Route und stelle fest, dass ich am Stephansplatz in die U3 umsteigen muss, um in der vereinbarten Zeitspanne zum Westbahnhof zu gelangen. Kein Problem für jemanden, der die Hinweisschilder lesen kann, aber ich habe momentan keine Ahnung, wie ich dort von A nach B komme. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die gesamte Station mit tastbaren Leitlinien versehen ist, denn man muss schon wissen, wohin man will, um ein Leitsystem auch nutzen zu können.

Gut, ich kann es darauf ankommen lassen, ob ich freundliche Passanten finde, die mich mitnehmen und auch zum richtigen Bahnsteig bringen, aber ich kann es auch selbst versuchen, und zwar mit POPTIS.

Wie komme ich ins System?

Das Handy habe ich ja noch in der Hand. Es verfügt über eine Sprachausgabe, womit ich nahezu alle Anwendungen bedienen kann. Also starte ich den Web-Browser und wähle POPTIS aus.

1. Schritt: Linie und Station auswählen

Ich befinde mich in der U1, also wähle ich diese aus und als Station den Stephansplatz.

2. Schritt: Modus wählen

Je nachdem, woher ich komme und wohin ich möchte, gibt es verschiedene Modi, aus denen ich wählen kann:

Das klingt komplizierter, als es ist, aber diese Aufteilung ist nötig, denn mich interessiert ja meist nur eine Teilstrecke. Zuviel Information wäre genauso störend wie zu wenig.

Ich wähle also den Umsteigemodus, denn ich möchte ja von der U1 zur U3.

3. Schritt: Die Wegbeschreibungen

Sehen wir uns also an, was mir an Auswahlmöglichkeiten angeboten wird:

Wie Sie unschwer feststellen können, benötige ich zuerst die Information über das Aussteigen aus der Linie U1, also gleich den 1. Punkt. Dieser Teil beinhaltet die Wegbeschreibung zu allen möglichen Aufgängen.

Im Anschluss daran muss ich den Weg vom Aufgang der U1 zur U3 finden, und zwar in der richtigen Fahrtrichtung, denn so viel weiß ich: Die Zugänge sind in unterschiedlichen Stockwerken. Ich werde also die gesuchte Information unter "Umsteigen zu den Anschlusslinien" finden.

Auch hier wird mir wieder eine entsprechende Auswahlmöglichkeit geboten:

Sie erinnern sich? Ich komme vom Praterstern, also aus Richtung Leopoldau. Daher wähle ich "von der Linie U1 Leopoldau zur Linie U3".

Nun wartet eine Menge Text auf mich, denn hier sind die Zugänge in beide Fahrtrichtungen beschrieben. Ich benötige die Linie Richtung Ottakring:
detaillierte Beschreibung.

4. Schritt: Aussteigen und neu orientieren

Die Wege in der Station Stephansplatz hätte ich also. Mein Ziel ist die Station Westbahnhof. Nun könnte ich wieder in der Hierarchie - ich denke, inzwischen ist klar, was unter "hierarchisch" gemeint ist - nach oben blättern, statt der U1 die U3 als Linie wählen und mich wiederum bis zur Ausstiegsstelle der U3 durch das System klicken. Da ich aber die Station Westbahnhof recht gut kenne, schließe ich POPTIS jetzt.

Vorausdenken - vorausplanen

Kein Zweifel: POPTIS unterwegs spontan zu konsultieren, setzt einiges voraus. Zum einen benötige ich einen Zugang zum Internet, zum anderen muss ich mich im Lärm der U-Bahn oder der Straße auf eine Sprachausgabe konzentrieren. Darum ist es besser und eher üblich, Wege von zu Hause aus zu planen.

Während die spontane Nutzung eine Art Trouble-Shooting darstellt, zeigt POPTIS in den eigenen vier Wänden und einer geeigneten PC-Infrastruktur erst seine ganze Leistungsfähigkeit.

Wie man die Wege innerhalb des U-Bahnnetzes findet, wissen wir jetzt. Nun kann ich in aller Ruhe darangehen, mir fixe Routen aus dem gebotenen Baukastensystem zusammenzustellen. Je nach vorhandener Konfiguration zu Hause kann ich diese Texte entweder als Fließtext in eine Textverarbeitung zusammen kopieren und auf ein mobiles System mit Sprachausgabe, etwa einen Organizer, übertragen. Oder aber ich wandle mit eigener Technik oder einem auf den Seiten der Wiener Linien gebotenen Programm (Text to Speech) den Text in synthetische Sprache um und lade die Audios auf einen MP3-Player für die Nutzung unterwegs.

Aus einem Puzzle wird ein Bild

POPTIS ermöglicht mir im Falle vorhandener Technik ein selbstständiges und zielsicheres Navigieren durch das gesamte Wiener U-Bahnnetz - und das sind immerhin 95 Stationen. In meinem Kopf sind davon höchstens zehn Stationen gespeichert, und diese niemals vollständig, sondern nur in jenen Teilbereichen, die ich öfter nutze. Die Möglichkeit POPTIS sowohl gut geplant von zu Hause aus als auch spontan unterwegs nutzen zu können, gibt mir nicht nur ein Stück mehr Selbstständigkeit, sondern auch Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein.

Dieses Baukastensystem lässt sich aber noch ergänzen und ausbauen. So könnte etwa ein Mobilitätstrainer oder ein guter bekannter Gehwege außerhalb des U-Bahnnetzes auf Tonträger sprechen oder via e-Mail übersenden, damit die Route komplett ist. Auch das Anfertigen von tastbaren Zeichnungen um einen Routenverlauf besser verstehen zu können, ist hilfreich.

Wer technisch interessiert und ein wenig verspielt ist, ergänzt den "Baukasten" vielleicht noch mit einem Navigationssystem (GPS = Global Positioning System), denn auch diese Anwendungen sind teilweise bereits mittels Sprachausgabe nutzbar.

Back to the Roots

Kehren wir zurück zur Nutzung der Orientierungshilfen im öffentlichen Wiener Verkehrsnetz. Inzwischen sind alle U-Bahn-Linien, Straßenbahnen und Busse mit dem gesamten Stationsnetz erfasst und online abrufbar. Auch Informationen zu Haltestellenverlegungen, geänderten Linienführungen oder baustellenbedingten Stationsauflösungen - temporär oder dauerhaft - sind nachzulesen und meist auch aktuell. Zusätzlich kann auch der Kundendienst unter 7909/100 über das aktuelle Verkehrsgeschehen Auskunft geben wie etwa Streckenänderung wegen Demonstrationen.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die so genannte Countdown-Anzeige. Sie gibt bei vielen Linien (nicht allen!) Auskunft darüber, wann das nächste Fahrzeug an einer bestimmten Haltestelle eintrifft und ob es sich dabei um ein Niederflur-Fahrzeug handelt. Auch diese Information kann ich mit meinem Handy vor Ort abfragen. Es steht mir somit dieselbe Information zur Verfügung wie jenen Verkehrsteilnehmern, welche die optische Anzeige in den Stationen lesen können. Die Gefahr, in eine falsche Linie einzusteigen, ist somit gering.

Kein Technik-Fan?

Wer die Hemmschwelle zu moderner Technik nicht überwinden kann, ist zweifellos im Nachteil. Es bleibt aber immer noch die Möglichkeit mit Hilfe eines Mobilitätstrainers oder Freunden die gewünschten Routen und Informationen auf einen MP3-Player zu kopieren.

Spätestens dann, wenn es unterwegs einmal nicht mehr weiterzugehen scheint, ist vielleicht die Motivation doch groß genug, sich den Errungenschaften moderner Technik wenigstens zu Testzwecken anzunähern.

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