Sie sind hier:

Alltag

Zur Navigation

Ein Hörfilm im Kino hat selbst dann seinen Reiz, wenn alles anders läuft, als man es erwartet hat.

Echte Wiener - Comeback nach 30 Jahren

Februar 2009

Zu den (0) Kommentaren

Sicher haben Sie schon einmal an Ihrem Fernsehgerät den Ton abgestellt und sich irgendwann gefragt, worum es in dem Film überhaupt geht. Und wenn Sie während einer Arbeit in Ihren vier Wänden gerade keinen Blick auf Ihr Fernsehgerät haben, dann haben Sie sicher gelegentlich auch nur zugehört und in Dialogpausen das Geschehen nicht optimal mitverfolgen können.

Für Menschen mit einer Sinnesbehinderung, ob nun Ohr oder Auge betreffend, gehört eine solche Situation zum Alltag.

Barrierefreie Filme

Um gehörlosen Menschen barrierefreien Zugang zum Film zu ermöglichen, sind Untertitel erforderlich, die nicht nur über Dialoge, sondern auch über eventuelle für die Handlung wichtige Geräusche informieren, wie etwa das Zufallen einer Türe oder das Knallen eines Sektkorkens.

Blinden Menschen ermöglichen kurze Zwischentexte in Dialogpausen, auf einer eigenen Tonspur aufgezeichnet, hingegen einen optimalen Zugang zur Handlung. Solche Hörfilme werden seit etlichen Jahren im deutschen Fernsehen ausgestrahlt; gelegentlich verirrt sich ein solcher Film auch in die österreichischen Sender.

Barrierefreier Kinofilm - jetzt auch in Österreich

Da Filme mit Audiodeskription, wie Hörfilme auch bezeichnet werden, in Österreich eher Seltenheitswert haben, verdient das Filmprojekt der österreichischen Bonus Film GmbH. besondere Beachtung, und das gleich im doppelten Sinn: Zum einen handelt es sich um die Fortsetzung der legendären und sagenhaften "Sackbauer"-Saga, zum anderen um einen Kinofilm "für alle Sinne", also mit Untertiteln für gehörlose Menschen und natürlich auch mit Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Filmliebhaber.

Ein solches Projekt ist für Peter und mich als Redaktionsmitglieder der Zeitschrift "Braille Report" Grund genug für einen Kinobesuch.

Echte Wiener - Recherche

Ein derart historisch bedeutendes Filmereignis verdient es, sich darauf gebührend vorzubereiten. Dazu gehört natürlich ein wenig Recherche im Internet, denn zu dem Film "Echte Wiener" gibt es auch eine barrierefreie Webseite (inzwischen leider zum Netz genommen!). Dort finden sich nicht nur die sehr unterhaltsamen Tagebücher des Regisseurs oder von "Mundl Ghost", sondern selbstverständlich auch Informationen über die Handlung des Films, die Vorgeschichte, die Schauspieler und die Dreharbeiten.

Für alle, die mit der Familie Sackbauer nicht vertraut sind - immerhin liegt die Produktion der Serie 30 Jahre zurück -, hier also ein paar appetitanregende Sätze zum Film, entnommen aus besagter Webseite:

"Der Mundl ist wie ein Verkehrsunfall - man kann nicht wegschauen. Die einen rümpfen vielleicht die Nase - igitt, Arbeiterklasse -, die anderen fühlen sich in Mundls Welt eh zu Hause - aber anschauen tun ihn alle."

Beinahe 30 Jahre lang war ein neues Abenteuer der Familie Sackbauer ein Ding der Unmöglichkeit. "Da braucht's schon eine Planierraupe, um den Mundl zurückzubringen", stöhnte so mancher. Und so war es dann auch: In seiner letzten TV-Folge feiert Edmund Sackbauer seinen 50. Geburtstag. In seinem ersten Kino-Film wird Mundl 80 Jahre alt. Allerdings gilt für den runderneuerten Mundl: "Man muss ihn heutig spielen. Der Charakter wird derselbe sein. Aber er wird sich vielleicht anders ausdrücken müssen."

Mehr sei hier nicht verraten. Machen Sie sich selbst ein Bild; der Film ist einen Besuch wert.

Das Drehbuch schrieb der Mundl-Erfinder Ernst Hinterberger und die Schauspielergrößen, allen voran Karl Merkatz als Hauptdarsteller, sind wieder mit dabei - und natürlich 30 Jahre älter. Gerade dieser Umstand verleiht dem Film seinen unvergleichlichen Charme.

Aber ich greife vor. Noch sind Peter und ich nicht im Kino.

Echte Wiener - wo und wann?

Dass das Event in der UCI Millennium City, Saal E, stattfinden sollte, ist der Vorinformation leicht zu entnehmen, der Zeitpunkt der Filmpräsentation aber leider nicht. Auf der anderen Seite erweist sich die Webseite des Kinos, im Gegensatz zur Seite zum Film, als alles andere als barrierefrei.

Das Schöne an einem Team ist die Aufgabenteilung, und darum habe ich nach erfolgloser Recherche meinen Team-Kollegen Peter gebeten, diese Barriere im Vorfeld für mich zu überwinden, was er bereitwillig getan hat.

"Dann also Treffpunkt beim Kino", sagt Peter und will das Telefonat beenden. Ich muss ein Veto einlegen, denn riesige unbekannte Gebäude ohne entsprechende Leitsysteme sind für mich eine noch größere Barriere als ein Film ohne Audiodeskription. Bereitwillig stimmt Peter meinem Vorschlag zu, den Treffpunkt daher in die Schnellbahnstation zu verlegen.

Kinovorfreuden

Von der belastenden Notwendigkeit befreit, mich nach einem langen Arbeitstag in einem Umfeld von lärmenden Menschenmassen und dröhnenden Lautsprechern allein orientieren zu müssen, habe ich den Weg durch das fröhliche Treiben an Peters Arm genauso genossen wie das kleine Bier und die Unterhaltung vor der Vorstellung. Die Kopfhörer für die Audiodeskription liegen bereit, und selbstverständlich darf auch der bei einem Kinobesuch unverzichtbare Sack Popcorn nicht fehlen. So ausgerüstet nehmen wir entspannt und erwartungsvoll unsere Plätze ein.

Die Spannung steigt

Der Trailer eines australischen Films im Vorspann ist erschreckend laut, und das empfinde nicht nur ich so, und mir wird ein wenig bange. Ob Mundl & Co auch so in meine Ohren dröhnen werden?

Meine Sorge erweist sich gottlob als völlig unbegründet. In angenehmer Lautstärke schmeichelt sich die einleitende Filmmusik in meine Ohren, und die ersten Dialoge werden keineswegs, wie dies bei manchen Filmen der Fall ist, von zu lauten Nebengeräuschen übertönt. Überhaupt: Die Geräuschkulisse verdient einen Sonderapplaus.

Da fehlt doch was

Zuerst fällt es mir gar nicht auf, so sehr bin ich auf den Film konzentriert. Aber sollten da nicht bereits beim Vorspann über Kopfhörer Informationen über die Mitwirkenden zu hören sein? Und wo bleiben eigentlich die erklärenden Hinweise in den Dialogpausen?

Ich drehe an den Reglern und Peter wird auf mein Tun aufmerksam und will wissen, was los ist. Bereitwillig überlasse ich ihm die Technik, aber auch er entlockt dem Kopfhörer nicht die erwarteten zusätzlichen Informationen.

Kurz entschlossen schlängelt er sich durch die Reihe, um für Abhilfe zu sorgen. Den Sack Popcorn lässt er dankenswerterweise bei mir zurück.

Echte Wiener - auch ohne Audiodeskription

Peter bleibt vorläufig für mich verschwunden und mit ihm die ergänzenden Hinweise via Kopfhörer. Aber der Film nimmt mich bald wieder gefangen.

Und während Peter versucht, das technische Problem einer Lösung zuzuführen, entführe ich Sie in den Film - besser gesagt, in die Geräuschkulisse des Films.

Da ist einmal das Elternschlafzimmer von Mundl und Toni, eindeutig identifizierbar durch das Tick-Tack des altmodischen Weckers und die unverkennbar trockene Akustik eines kleinen Raums. Auch der Innenhof des Gemeindebaus, wo sich der Schall an den Wänden bricht, und der Balkon mit dem Vogelgezwitscher und dem entfernten Rauschen des Verkehrslärms sind als Schauplätze der Szenen an der stets gleichen Akustik eindeutig erkennbar. Die Veranstaltungshalle von Irmis und Petras Modenschau ist durch den Hall auch bei raschem Szenenwechsel genauso eindeutig, wie es die Auftritte von Edis Band sind. Gratulation an Regie und Technik!

Doch noch Audiodeskription

Peter kehrt nach mehr als einer halben Stunde zurück - allerdings unverrichteter Dinge, denn der Kopfhörer bleibt stumm, ebenso wie die angebotenen Ersatzgeräte. An dieser Stelle gebührt den Angestellten des Kinos ein herzliches Dankeschön für den Versuch, das Problem um 21.30 Uhr, sogar mittels Anruf an den Techniker, zu lösen und für das großzügige Geschenk von 4 Gratiskarten als Entschädigung für die unzugänglichen Zusatzinformationen.

Dass ich dennoch in den Genuss einer professionellen Audiodeskription gekommen bin, verdanke ich Peter, der es meisterhaft versteht, mit wenigen gemurmelten Hinweisen in Dialogpausen, wie etwa "steckt einen Brief in den Umschlag", mir jene Informationen zu geben, die sich aus den Geräuschen nicht oder nur schwer ableiten lassen.

Auch wir gehen nicht unter

Die Österreicher, und speziell die Wiener, sind nicht nur im Film für ihr Improvisationstalent bekannt. Wer bisher aufmerksam gelesen hat, wird feststellen, dass Peter alle bestehenden Barrieren für mich ausgeräumt hat: Begonnen von der Unauffindbarkeit des Zeitpunkts der Veranstaltung, die Begleitung vom öffentlichen Verkehrsmittel bis ins Kino, den Versuch während des laufenden Films einen funktionierenden Kopfhörer aufzutreiben bis hin zur Übernahme der eigentlichen Audiodeskription. Danke!

Da die DVD zum Film noch nicht erschienen ist, kann ich über den eigentlichen Anlass des Kinobesuchs, nämlich die zusätzlichen Hinweise für blinde Menschen nichts sagen, wohl aber über den Kinoabend selbst und den Film. Beide verdienen das Prädikat "gelungen".

Die Lektion

Solche Pannen haben durchaus auch ihr Gutes, und ich habe etliches dazu gelernt:

  1. Ich kann der Handlung eines Films mit gut durchdachter Geräuschkulisse und Dialogpausen, die Zeit zum Nachdenken lassen, durchaus auch ohne zusätzliche Beschreibung folgen.
  2. Ein Film ist aber deutlich mehr als dessen Handlung. Erst die Audiodeskription macht den Film zum echten Filmerlebnis und damit zum Filmvergnügen.
  3. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass Barrierefreiheit weit mehr ist als Technik. Vielmehr handelt es sich um ein Gesamtkonzept mit etlichen Begleitmaßnahmen. Fällt auch nur eine Komponente aus, lässt sich dies fast nur noch durch die tatkräftige Hilfe von verständigen Menschen ausgleichen.

Zur Übersicht "Alltag"

Zu diesem Artikel gibt es leider noch keine Kommentare.

Einen Kommentar zu diesem Artikel schreiben:

Ich behalte mir vor, Einträge wider die guten Sitten oder den guten Geschmack zu entfernen, möchte meine Leser jedoch ausdrücklich zu themenbezogenen Kommentaren oder Fragen ermutigen.