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Wer ein Ziel vor Augen und Lebensfreude hat, ist selbst in der Armut reich.

Im Zentrum des Kreises

März 2007

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Drei musizierende Kinder

Im Saal herrscht gespannte Erwartung, von der Bühne her sind gedämpfte Laute uns bislang unbekannter Saiteninstrumente und Trommeln zu hören. Und dann entführen uns die Texte von Silvi gemeinsam mit den fremdartigen Klängen in eine unbekannte Welt.

Mit eindrucksvollen Tanz-, Musik- und Gesangsdarbietungen stellen die jungen indischen Künstlerinnen und Künstler aus der Blindenschule Jeevan Jyoti (das bedeutet "Leben und Licht") ihr Land vor. Es ist ein Land mit fünf Religionen, ungezählten Volksstämmen und etwa 5000 Dialekten, ein Land der Gegensätze, in dem jedoch viele Menschen gelernt haben, von der Vielfalt zur Einheit zu finden. Aber es ist auch ein Land, in dem blind sein nach wie vor existenzgefährdend sein kann.

Mut zur Initiative

Etwa zwei Millionen indische Kinder sind blind. Doch die meisten von ihnen sind nicht blind geboren, sondern Armut, zu wenig Vitamine, mangelnde Hygiene, einseitige Ernährung und schlechte bis keine medizinische Versorgung sind die Hauptursachen für den Vormarsch der Blindheit in den Armenhäusern unserer Welt. In einem Land wie Indien, in dem unzählige Menschen ums tägliche Überleben kämpfen, sind blinde Kinder im Normalfall zu einem Leben als Bettler verurteilt.

Doch es gibt Menschen, die nicht bereit sind, das Elend dieser Welt als "Normalfall" zu betrachten: Die Missionsschwestern des österreichisch-indischen Ordens "Königin der Apostel" haben in der Nähe von Benares, der heiligsten Stadt der Hindus, mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland einen Platz geschaffen, an dem seit 1976 Hunderte blinde Kinder aus allen Religionen und Kasten ein Zuhause gefunden haben.

Die Saat geht auf

Unwillkürlich fragt man sich: Wo beginnt man ein solches Projekt? Ist nicht jede Aktivität nur wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?

Die engagierten Schwestern haben einfach mit der Arbeit begonnen. Sie haben die umliegenden Dörfer bereist und nach blinden Kindern gesucht und sie unterrichtet - zu Beginn noch unter einem Mangobaum. Nach und nach sind es immer mehr Kinder geworden, und irgendwann ist das erste Gebäude entstanden.

Oberstes Ziel der Schule ist den jungen Menschen eine möglichst gute Schulausbildung und vor allem praktische Fertigkeiten für ein selbstbestimmtes Leben zu bieten, damit sie eines Tages für sich selbst sorgen können. Bei dem Mangel an Schulbüchern in Blindenschrift und der für den Unterricht dringend erforderlichen Geräte ist das vor allem in der ersten Zeit ganz sicher keine leichte Aufgabe gewesen und auch heute noch lange nicht mit unseren Vorstellungen und Möglichkeiten zu vergleichen.

Neben den Unterrichtsschwerpunkten nimmt aber auch die Schulung in allen praktischen Disziplinen einen sehr hohen Stellenwert ein. Orientierung innerhalb und außerhalb von Gebäuden ist ebenso Teil der Ausbildung wie Haushaltsführung, Waschen, Nähen, aber auch Tierpflege und diverse Arbeiten in landwirtschaftlichen Betrieben - eben alles, was später zum selbstständigen Broterwerb beitragen kann.

Wachstum und Veränderung

Haben in den ersten Jahrzehnten die Kinder ihre gesamte Schulzeit bis zum Abschluss in Jeevan Jyoti verbracht, so werden die inzwischen etwa 200 Kinder heute bereits ab der 5. Klasse in die umliegenden Normalschulen integriert, um später Fachschulen oder eine Universität zu besuchen. Das setzt ein hohes Maß an schulischem Wissen voraus. Aber noch größer ist zweifellos die Herausforderung, mit den Gegebenheiten des täglichen Lebens zurecht zu kommen - ohne akustische Signale an geregelten Kreuzungen, ohne tastbare Bodenmarkierungen und andere Erleichterungen, an die wir gewöhnt sind.

Auch die Ausbildung hat sich in den letzten Jahren verändert. So hat der Computer auch in Jeevan Jyoti Einzug in den Unterricht gehalten, und wenn Stromzufuhr und Telefonleitungen es erlauben, ist nun auch die Schule mit der virtuellen Welt verbunden.

Mit ambulanten Projekten, in denen blinde und nun auch taubblinde Kinder, aber auch Erwachsene außerhalb der Schule betreut werden, ist das Betätigungsfeld nochmals enorm erweitert worden.

Sprühende Lebensfreude

Dem Tanz und Gesang, einem weiteren wichtigen Ausbildungsziel, widmen sich die jungen Künstlerinnen und Künstler mit spürbarer Hingabe und Freude, und sie haben mit ihren Tanzchoreografien schon etliche Preise errungen.

Und diese sprühende Freude übertragen sie durch die lebhaften Tanzdarbietungen und die stolze Selbstsicherheit, wie sie ihre Instrumente handhaben, auf das Publikum.

Zu Besuch in Österreich

Das Ensemble, bestehend aus 10 Künstlerinnen und Künstlern zwischen 10 und 25 Jahren sind zu Gast im Mutterhaus der "Königin der Apostel" in Wien. Es ist eine Begegnung in mehrfacher Hinsicht: Kinder begegnen, die meisten zum ersten Mal, ihren österreichischen Pateneltern, die mit ihrem für unsere Verhältnisse geringen finanziellen Beitrag seit Jahren ihre Ausbildung und Integration unterstützen; aber hier treffen auch zwei völlig konträre Kulturen aufeinander. Trotz geringfügiger sprachlicher Unsicherheiten und dem so wichtigen, hier aber fehlenden Augenkontakt scheinen sich Grenzen und Gegensätze aufzulösen. Einmal mehr erfahren wir, dass es Verbindungen gibt, die weit über die visuellen und verbalen Möglichkeiten hinausgehen - ein Gleichklang, der sich in den Musik- und Tanzdarbietungen der jungen Menschen widerspiegelt, uns Zuhörer wie eine Welle erfasst und mitträgt.

Tanzende und singende Kinder

Sie tanzen einen Kreis um ein unsichtbares Zentrum - ein Symbol dafür, dass auch das Zentrum des Universums den Augen letztlich verborgen bleibt. Mit einem klassischen Musikstück fordert uns die Moderatorin auf, uns in das eigene Ich, unser Zentrum, zu versenken, es neu zu entdecken, um dem Zentrum des Universums wieder ein Stück näher zu kommen.

Der Blick nach vorn

Bei all der Lebhaftigkeit und Freude vergisst man aber nur allzu leicht, welch großer Anstrengungen es sowohl seitens der Schwestern als auch der Schülerinnen und Schüler bedarf, um unter derart schwierigen Bedingungen die gesteckten Ziele einer selbstständigen Lebensführung zu erreichen.

Heute, fünf Jahre nach dieser eindrucksvollen Begegnung mit dem indischen Künstler-Ensemble, sind bereits die nächsten Veränderungen in Jeevan Jyoti spürbar: Ab sofort werden nur noch Mädchen in die Schule aufgenommen, denn 150 Kilometer südlich von Varanasi wird demnächst eine Schule für Jungen entstehen.

Gottvertrauen, Fleiß und Ausdauer haben in den letzten 31 Jahren die starke Basis für ein kontinuierliches Wachstum des Projektes gebildet und werden auch weiterhin tragende Säulen bleiben. Aber auch die finanzielle Unterstützung durch eine Stiftung in Deutschland und die Pateneltern aus Österreich helfen das Projekt mitzutragen. Auf diese wertvolle Unterstützung werden die Schwestern und Kinder auch in Zukunft nicht verzichten können - jetzt erst recht nicht, wo eine zweite Schule im Entstehen ist.

Bildbeschreibungen: Dorothea WINTERLING


Ergänzende Informationen

Adresse der Schule:
Jeevan Jyoti
School and Community Based Rehabilitation for the Blind
Aktha, P.O. Sarnath
Varanasi - 221 007
Uttar Pradesh

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