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Begegnungen
Die von Louis Braille entwickelte 6-Punkte-Schrift ist für blinde Menschen mindestens so wertvoll wie "sechs Richtige" im Lotto.
Ein Dank an Louis
Dezember 2009
Louis Braille, vor 200 Jahren geboren, erblindete im Kleinkindalter. Bereits mit 15 Jahren erfand er die Schrift aus nur 6 Punkten, die nach ihm benannt wurde und die blinden Menschen weltweit das Tor zur Bildung öffnete. Nicht zu Unrecht wird Braille daher oft als "Gutenberg der Blinden" bezeichnet.
2009 wurde zum Louis Braille Jahr erklärt und aus diesem Anlass die Tour de Braille ins Leben gerufen. Überall lasen blinde Menschen Texte in Braille-Schrift - bei Partys, in Straßenbahnen, ja sogar auf dem Tandem oder in einem Heißluftballon.
Den krönenden Abschluss dieser Tour und damit sicher einen der Höhepunkte der Aktivitäten im Braille-Jahr, bildete das "Louis Braille Festival der Begegnung", das vom 28. bis 30. August in Hannover stattfand, ein wahrhaft würdiges Finale der Tour de Braille, in dem deutlich zum Ausdruck kam, welchen Möglichkeiten Louis Braille mit seiner Schrift Tür und Tor geöffnet hatte. Begleiten Sie mich auf meinem Streifzug durch einige Stationen dieses Festes.
Im Lesecafe
Keine Frage, Das Lesen mit den Fingern nahm bei diesem Fest im Kongresszentrum Wienecke XI in Hannover eindeutig einen besonderen Platz ein. Im Spiegelsaal, etwas abseits vom Trubel der anderen Angebote, war das Lesecafe eingerichtet. Blinde Leserinnen und Leser waren zu den unterschiedlichsten Themen zu hören.
Den Startschuss feuerte Lothar Littmann ab. Er trug Gedichte und Geschichten von Elias Canetti und Mascha Maléko vor, umrahmt von Liedern aus der Feder Georg Kreislers. Die drei Künstler verbindet nicht nur ihre jüdische Herkunft, sondern auch der tiefgründige Humor bis hin zum beißenden Spott. Ein sprachliches Feuerwerk und Lachmuskeltraining - und damit ein gelungener Einstieg in die Festtagslaune.
Wie hätte Lothar Littmann diese Stunde wohl gestaltet, wäre er nicht ein Meister der Braille-Schrift? Und dabei ist nicht nur die Verkehrsschrift gemeint, sondern auch die Notenschrift, ebenfalls basierend auf 6 Punkten. Den Preis, den Lothar Littmann im Rahmen der Festveranstaltung am Samstagabend in Empfang nehmen durfte, erhielt er vor allem für sein Engagement zum Thema Blinden-Notenschrift.
Am Samstagnachmittag lauschten wir mit steigender Heiterkeit dem Vortrag von Reiner Unglaub, dem wohl bekanntesten Sprecher und langjährigen Leiter der Blindenhörbücherei in München. Sein Name ist Programm: Er liest die Braille-Schrift in einem unglaublichen Tempo - und natürlich mit mitreißendem Vortrag. Die Stunde mit Werken von Kurt Tucholsky verging wie im Flug und unter ständig steigendem Gelächter, bis wir Tränen in den Augen hatten.
Faszinierend, wenn auch für österreichische Ohren relativ schwer verständlich, war der Vortrag von Max und Moritz auf Plattdeutsch durch Hannelore Folkerts, der unter dem Titel "Blinde lesen ihre Lieblingswerke" stand.
Audiodeskription - Der Hörfilm
Während der gesamten Festveranstaltung wurden Hörfilme gezeigt und in einem Vortrag unter dem Titel "Wie kommt das Bild in den Ton" über das Entstehen eines Hörfilms informiert. Vertreter der Deutschen Hörfilm gGmbH informierten nicht nur über die Entstehung eines Hörfilms, sondern waren auch sichtlich an den Wünschen des Zielpublikums interessiert.
- Was benötigen blinde Menschen, um einen Film nicht nur verfolgen, sondern (mit)erleben zu können?
- Wie viel muss beschreibend mitgeteilt werden?
- Was ist zu viel und daher Ballast?
Bis eine Audiodeskription publikumsreif ist, bedarf es mehrerer Arbeitsschritte: Da muss einmal ein Drehbuch geschrieben werden, das einerseits auf die erforderlichen Informationen abgestimmt ist, jedoch gleichzeitig darauf Rücksicht nimmt, wie viel Zeit in den Dialogpausen für zusätzliche Information bleibt.
Daher unterstützen blinde und sehbehinderte Mitarbeiter die Drehbuchautoren, hören sozusagen den Film ab und klären im Dialog mit den Autoren, ob alle benötigten Informationen, die zum Verständnis des Films erforderlich sind, auch tatsächlich hineingepackt werden konnten.
Auch die Arbeit des Sprechers ist klar umrissen: "Ich spiele ja nicht im Film mit, ich informiere nur", stellte die anwesende Sprecherin klar. Das muss ohne Pathos und Dramatik erfolgen, um nicht von der Handlung abzulenken.
So erhält man zum Beispiel ganz beiläufig die Information, dass jemand, der einen Raum betritt, dort völliges Chaos vorfindet, das man ja nicht hören kann.
Für die Erstellung von Audiodeskriptionen wird übrigens eine zweimonatige Ausbildung angeboten. Nähere Informationen gibt es bei der Hörfilm-Gesellschaft.
Im Anschluss an Vortrag und Diskussion konnten wir uns bei dem Film "Spielzeugland" von Nutzen und Unverzichtbarkeit der Audiodeskription überzeugen. In dem 14 Minuten dauernden Streifen wechseln Gegenwart und Rückblick in rascher Folge und auf drei zeitlichen Ebenen, und ich kann mir nicht vorstellen, der Handlung ohne Audiodeskription folgen zu können. Immerhin sieht man zu Beginn nur die Mutter, die entdeckt, dass ihr Kind nicht im bett liegt. Da wird nichts gesprochen, und auch wenn man das hektische Klappern der Absätze im Treppenhaus hört, bleibt ohne Bild - oder ohne Audiodeskription, mit deren Hilfe das Bild in den Ton kommt - der Grund für die Hektik verborgen.
Am Marktplatz der Begegnung
Einem Volksfest nicht ganz unähnlich präsentierte sich die Begegnungsstätte der Landes-Blindenverbände. Neben Information über diverse Einrichtungen sorgten Ratespiele, sportliche Wettkämpfe, musikalische Darbietungen und so manch kreative Idee für gute Laune und Unterhaltung - von der Namensgebung für eine Skulptur, dem Erschnuppern des Lieblingsduftes bis hin zur Unterschrift auf einem Berliner Bär.
Auf der Festspielwiese wurde ein umfangreiches Kinderprogramm geboten, die Möglichkeit Tandem zu fahren, und das Parkdeck wurde für Schießen nach Gehör und Tischball sowie eine Ausstellung plus Workshop zum Thema Speckstein umfunktioniert. Hier fanden wir neben Schildkröten, Fischen und Igeln in allen Größen auch einen riesigen Pinguin. Besonders hatte es uns aber eine kleine Skulptur angetan, die einen Braille-Schrift lesenden Menschen darstellt.
Sterne über Sterne
So bekannte Namen wie Lothar Littmann und Reiner Unglaub sind ja schon gefallen, aber das Festival hatte noch weit mehr zu bieten.
Das Musical "Stärker als die Dunkelheit" über die Anfänge der Berliner Blindenschule machte den Auftakt. Einer der Höhepunkte war auch das Konzert der bekannten blinden Sängerin Joana Zimmer, dessen Finale der Schlusssong aus dem Film Yentl von Barbra Streisand bildete - eine brillante und stimmgewaltige Leistung.
Im Rahmen der abendlichen Festveranstaltung lasen Mario Adorf, Schirmherr für den deutschen Hörfilmpreis, und Reiner Unglaub aus den Werken Kurt Tucholskys und lösten im Publikum damit viel Heiterkeit aus. Joana Zimmer und die Band "Blind Foundation" bildeten den qualitativ hochwertigen musikalischen Rahmen des Festakts für die Preisverleihung im Rahmen der Tour de Braille sowie der Tagessieger des Länderquiz und des Spiels ohne Grenzen, in welchem die Landesverbände im sportlichen Wettkampf gegeneinander angetreten waren.
Ausklang mit Ausblick
Die Matinee am Sonntagvormittag verwöhnte das Publikum nochmals mit einem dreistündigen Programm. Da reizte zu Beginn das Kabarett-Duo "Plueckhahn & Vogel" aus Berlin die Lachmuskeln.
Von ganz anderer Art waren die Darbietungen der acht blinden Künstler aus München, die nicht nur das Blech in heimischen und jazzigen Rhythmen zum Klingen brachten, sondern auch im Vokalgesang einiges zu bieten hatten - eine sehr gelungene Umrahmung für die Präsentation des Jahrbuches "Weitersehen 2010" des DBSV.
Schön, dass zum Schluss der Matinee noch die seit 12 Jahren in Köln lebende Liedermacherin Andrea Eberl mit österreichischen Wurzeln mit ihren tiefgründigen Chansons zu Wort kam.
Sowohl bei der Festveranstaltung als auch während der Matinee klang der Wunsch durch, 2012 in Berlin ein ähnliches Fest der Begegnung zu planen.
Für uns steht eines fest: Wir sind sicher mit dabei!
Danksagung und Resümee
Ein solches Fest zu organisieren und für die Besucher reibungslos über die diversen Bühnen zu bringen, ist eine Meisterleistung. Ich habe mich daher mit den Mitarbeitern im Festival-Büro unterhalten und ein paar neugierige Fragen gestellt.
Herr Gerd Schwesig hat mir verraten, dass die Planung etwa vor einem Jahr begonnen hat und das letzte halbe Jahr intensiv vorbereitet wurde. Neben den Financiers, die man auf der Webseite nachlesen kann, waren 120 freiwillige Helfer im Einsatz, um die etwa 1000 Besucherinnen und Besucher bestmöglich zu betreuen. Nach den Kosten wagte ich erst gar nicht zu fragen. Das riesige Kongressgelände, die perfekte Technik und nicht zuletzt die Namen der Stars sprechen eine eigene Sprache.
Neben hochkarätigen Darbietungen und der anhaltenden festlichen Stimmung zog sich aber auch wie ein roter Faden der Dank an Louis Braille und ein leises Bedauern darüber, dass dieser weder den Siegeszug seiner aus sechs Punkten bestehenden Schrift rund um den Globus noch das ihm zu Ehren gegebene Fest erleben durfte.
Zum Nachschlagen
- Louis Braille bei Wikipedia
- Tour de Braille
- Deutsche Hörfilm gGmbH
- Ausstellung der Braille-Schrift in Berlin
Bildbeschreibungen: Dorothea WINTERLING
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