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Begegnungen
Stein ist weder kalt noch leblos, wenn kundige Hände seine Form "befreien".
Das fühlt sich gut an!
Februar 2011
In der Wohnung im 8. Bezirk ist es mollig warm, der Parkettfußboden knarrt unter unseren Schritten und neben der Wärme empfängt mich ein dezentes Geräusch, das ich vorerst nicht identifizieren kann.
Der Bildhauer Michl Herberstein erwartet uns bereits: Ein großer Mann, ein kräftiger Druck einer warmen, rauen Hand, ein freundlicher Gruß - so empfängt er uns. Es geht etwas Einnehmendes von ihm aus; Einnehmend, aber kein bisschen vereinnahmend, offen, aber nicht aufdringlich, das ist mein erster Eindruck, den ich im Laufe des Abends nicht korrigieren muss.
Wir legen unsere Mäntel ab, nicht an einer Garderobe, sondern auf einer Fensterbank, was der Atmosphäre zusätzliche Ungezwungenheit verleiht. Danach bin ich bereit, die Skulpturen zu betrachten, angeleitet vom Künstler selbst.
Es ist eine langsame und sehr systematische Entdeckungsreise. All die vielen optischen Eindrücke, wie sie auf Brigitt, die mich begleitet, um das Event auch im Bild festzuhalten, gleichzeitig überfallsartig einstürmen, erreichen mich erst nach und nach ganz nebenbei im Plauderton, sozusagen in kleinen und leicht verdaulichen Portionen. Auch über die Größe der Räumlichkeiten und die Anordnung der Skulpturen bekomme ich erst im Laufe des Abends einen genaueren Eindruck.
Wie selbstverständlich nimmt mich der Künstler an der Hand, führt mich zur ersten Skulptur. Nein, er zeigt sie mir nicht, indem er meine Hand darauf legt. Er sorgt nur dafür, dass sie in Reichweite ist und von mir entdeckt, erforscht, angefasst, begriffen werden kann - auf meine ganz individuelle Weise, meiner eigenen Systematik und meinem individuellen Tempo.
Während meine Hände auf Erkundungsreise gehen, erzählt mir Michl Herberstein von seinem starken Bezug zu natürlichen Materialien, dem Leben in einer eigenhändig renovierten Mühle, seinen beiden Kindern und vor allem seinem starken Bedürfnis sein Lebensgefühl durch seine Werke anderen mitzuteilen.
Bildbeschreibung: Michl Herberstein auf einer Stoffbahn.
Irgendwann erwähnt er die Stoffbahnen, die hier an den Wänden hängen und den Künstler in Lebensgröße zeigen. Diese lebensgroßen Darstellungen unterstreichen seine starke Präsenz in dieser Ausstellung und demonstrieren seine Beziehung zum Werkstoff.
So zeigt eines dieser Bilder den Künstler vor einem Teich, mitten im Sprung, mit angewinkelten Beinen. Die Handhaltung deutet an, dass er gerade einen Stein in der Größe seines Kopfes hochgeworfen hat. Das ist seine Art, den Werkstoff "kennen zu lernen" und in Beziehung zu treten. Auch die zarte Geräuschkulisse - es handelt sich um quakende Frösche, verrät er mir auf meine frage - erzählen von der Naturverbundenheit des Künstlers.
Es gehört zu Herbersteins Konzept, dass die Skulpturen nicht nur betrachtet, sondern vor allem intensiv berührt werden sollen. Denn: "Die Intensität der Berührung steigt, wenn wir die Augen schließen", weiß der Künstler. Darum lässt er mich während unseres Rundgangs auch ganz selbstständig forschen, mich Zeit und Intensität bestimmen, die ich einer Skulptur widmen möchte und wartet, bis ich meine Hände zurück ziehe und mich innerlich wie äußerlich wieder löse.
Er beantwortet meine Fragen nach Arbeitstechnik, Werkzeuge und das Material und weist mich auf Details im Charakter des jeweiligen Steins hin, dem er seine Form entlockt hat und der wir nun gemeinsam nachspüren. Wir reden über Einschlüsse im Stein und Materialunterschiede sowie natürliche Bruchlinien. Diesen spürt der Künstler nach, nicht er formt den Stein, sondern "befreit" die Form aus dem Stein. Dr. Leo Hemetsberger bringt das sehr schön auf den Punkt, wenn er schreibt: "Es ist ein Hineingreifen, entlang Spüren, sich Einlassen auf die Sprache des Materials."
Die meisten Skulpturen sind aus Sandstein und doch fühlen sie sich alle ganz unterschiedlich an. Manche sind glatt geschliffen, fast wie Marmor, wenn sich auch die Oberfläche wegen der Einschlüsse nicht ganz so homogen, sondern ein wenig grobporig anfühlt,. Die zahlreichen Ein- und Ausbuchtungen laden ein, darauf zu verweilen, sich auf den Stein einzulassen und somit auf die Empfindungen, die bei Berührung aus den eigenen unbewussten Tiefen empor steigen.
Einige dieser Skulpturen sind ausgehöhlt, um Raum für eine Lampe zu schaffen, die den Stein erwärmt, deren Licht durch eine oder mehrere Öffnungen nach außen dringt. Ich empfinde es als angenehm, meine Hände darauf zu legen, den Wölbungen und Rundungen nachzugehen, und ich habe das subjektive Empfinden, als wäre die Skulptur eigens dafür geschaffen, von Händen umschlossen zu werden.
Das liegt durchaus in der Absicht des Künstlers. "Die Berührung, das Ergriffen werden im Kontakt mit dem Medium hat für Michl Herberstein eine stark erotische Komponente", schreibt Dr. Hemetsberger. Und es stimmt: Der intensive Kontakt mit den Formen hat etwas mit sinnlichem Lust und Genuss zu tun. Selbst in jenen Skulpturen, die rau und stark strukturiert wirken, überwiegen die "handfreundlichen" Formen. Da ist nichts Scharfkantiges oder allzu Spitzes, an dem man sich bei unachtsamer Berührung verletzen könnte. Es sind gefällige, einschmeichelnde Formen, die angefasst und "begriffen" werden wollen.
Die Skulpturen tragen keine Namen, um den Betrachter nicht zu beeinflussen und bieten so die Möglichkeit den Stein sprechen zu lassen, in ihm und vielleicht in sich selbst etwas Neues zu entdecken. Die ganze Zeit über verspüre ich nicht das Bedürfnis darüber nachzudenken, was die Skulpturen darstellen könnten. Es genügt mir, sie anzufassen und auf mich wirken zu lassen.
Erst als sich im Gespräch die Notwendigkeit ergibt, das eine oder andere Werk zu identifizieren, versuche ich anhand spezifischer Merkmale zur Gegenständlichkeit zurück zu finden. Denn ich kann ja nicht mit dem Finger auf eine Skulptur deuten, muss mich daher der Sprache bedienen und versuchen, passende Vergleiche zu finden.
Da ist der Speckstein mit der charakteristischen Linie, die den weichen vom härteren Material trennt, der der Künstler entlang gearbeitet hat, um den natürlichen Verlauf zu betonen. da ist die grobporige Anhäufung unterschiedlich großer Kugeln, die gleich mehrere Vergleichsbilder in mir auslösen: Eine Schale mit kugelförmigen Blüten, Murmeln unterschiedlicher Größe, Dolden aus Wolle, oder vielleicht auch Karfiol
Bildbeschreibung: Zu sehen ist ein glatt polierter fast schwarzer Flussstein, etwa in der Form eines Tortenstücks.
Besonders angenehm anzufassen, weil nahezu spiegelglatt, sehr handlich und an der Heizung angewärmt, sind die geschliffenen Flusssteine in Form von Tortenstücken und von Rehlederbeuteln umhüllt, die sich eng an den Stein schmiegen.
Ich habe längst begriffen, dass ich mich nicht bloß Skulpturen aus Stein, sondern Schritt für Schritt einem Menschen und dessen Lebensphilosophie nähere. Einem Menschen, der auf der Reise zu sich selbst nach Ausdruck strebt, um sich mitzuteilen und Anderen bei dieser spannenden Entdeckungsreise als Wegweiser zu dienen.
Besser als Dr. Hemetsberger könnte ich es keinesfalls ausdrücken: "Zu dieser sensiblen Reise möchte uns der Künstler verführen, dessen Lebensinhalt es geworden ist, sich an der Form so lange abzuarbeiten, bis er sich darin erkannt hat. Möge das allen Betrachtern/Berührenden auch gelingen, im stillen Dialog mit der Skulptur."
Meine Lieblings-Skulptur
Bildbeschreibung: Zu sehen ist ein schwarzer mit Ornamenten verzierter Kamin. auf dem Sims aus rötlichem Stein steht eine fast weiße Skulptur aus Sandstein; dahinter steht, wie auch im Kamin selbst, ein Spiegel.
Für mich hat diese Darstellung etwas von einem Kleidungsstück, oder eher zwei übereinander getragenen, wobei die vorne mittig "aufgerollten" Ränder sehr glatt poliert sind - so glatt eben, wie die harten Einschlüsse im Sandstein es erlauben. An ein Kleidungsstück dachte ich auch deshalb, weil man sich oberhalb des "doppelten Kragens" ohne weiteres einen Kopf vorstellen kann.
Weil sich diese Partie so glatt anfühlt, verbinde ich damit die Vorstellung von Baumwolle oder einem anderen ähnlich glatten Material, das man gerne auf der Haut trägt. Die "Außenseite" ist rundherum mit halbkugelförmigen, "Noppen" etwa in der Größe von unterschiedlich großen Mandarinen besetzt, die Oberfläche jedoch porös und viel weniger glatt, was die Assoziation mit Wolle oder einem ähnlichen Material auslöst.
Aus irgendeinem mir unbekannten Grund stelle ich mir die glatte Fläche weiß oder ganz hell, die "wollene" Umhüllung dunkler vor, so als müsste sie die Sonnenstrahlen aufnehmen und die Wärme an den Träger weiter leiten. Tatsächlich ist die gesamte Skulptur fast weiß.
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