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Warum bloß bietet die Natur keine Möglichkeit, bei Bedarf die Ohren ebenso verschließen zu können wie die Augen?

Ohrenzeugin

15.01.2010

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"... Sag schon wie viel ..." Pause. "... Bist du wirklich zu blöd, einfach zu sagen, wie viel? ..."

Die scharfe Tenorstimme, von unterdrücktem Ärger sicher eine Nuance höher als gewöhnlich, durchdringt unangenehm das Gemurmel in der Straßenbahn. Sie verursacht mir Unbehagen; weniger durch die Wortwahl als vielmehr wegen des Tonfalls. Ich weiß nicht warum, aber es ist mir peinlich zuzuhören.

Ich bin dankbar, als bei der nächsten Station ein junges Mädchen einsteigt. auch sie hat ein Handy am Ohr, was ich daraus schließe, dass sie ganz alleine beim Ausgang stehen bleibt und einen schier endlos erscheinenden Wortschwall von sich gibt.

Aber in einer der wenigen Atempausen dringt wieder die Stimme des Tenors aus dem Hintergrund in mein Bewusstsein: "... Ich sage ja, dass du zu dumm bist ..." Der mühsam unterdrückte Zorn und die darin zum Ausdruck kommende Geringschätzung für den Gesprächspartner (warum vermute ich eigentlich, dass es sich um eine Frau handelt?) steigern mein Unbehagen noch mehr, sodass ich froh bin, dass das Geplapper neben mir wieder etwas lauter wird. Ich bewundere die Zuhörerin (die "beste Freundin"?) für ihre Geduld.

Jetzt ist eine weitere Männerstimme, ebenfalls aus dem hinteren Teil des Zugs, zu vernehmen: "Mäßigen Sie sich gefälligst und belästigen Sie nicht andere mit Ihren Telefonaten!" Die Entrüstung ist deutlich zu hören. Zweifellos richtet sich die Botschaft an den Typen mit dem Handy.

Der Telefonierende ignoriert erwartungsgemäß den Vorwurf, Ein anderer Fahrgast fühlt sich aber bemüßigt richtig zu stellen: "Aber der Mann spricht doch gar nicht laut", kontert er.

Damit hat er zweifellos recht. Aber die Intensität in der Stimme - für mich klingt sie geradezu gewaltbereit - scheint auch anderen Fahrgästen an die Nieren zu gehen. Penetranz setzt sich eben immer durch.

Jetzt entspinnt sich eine Diskussion zwischen den beiden Männern, ob nun das Telefonat wirklich zu laut ist und wenn ja, was das jemanden anginge 

Irgendwann findet der "Verteidiger" das richtige Argument, um dem anderen den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Diskussion abrupt zu beenden: "Jedenfalls ist unser Gespräch deutlich lauter als das Telefonat", sagt er und trifft damit den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf, denn die Tenorstimme ist längst nicht mehr zu hören, dringt aber sofort wieder an mein Ohr, als die beiden Männer ihren Dialog abrupt beenden.

Das junge Mädchen beim Ausgang - wir sind inzwischen fünf Stationen gefahren - telefoniert auch noch immer. Aber Telefonat ist wohl nicht ganz korrekt, es ist eher ein Monolog, der sich immer um dasselbe Thema dreht, das ich meinen Lesern erspare.

Warum erlaubt uns die Natur die Augen zu schließen , wenn wir etwas nicht sehen wollen (auch ich mache das instinktiv, obwohl ich nicht sehen kann), während wir eine enorme mentale Kraft aufbringen müssen um nicht hinzuhören?

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