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Warum bloß sind die meisten Lebensmittel so beschriftet, dass selbst Menschen ohne diagnostizierte Sehbehinderung unwillkürlich zur Brille greifen?

"V" wie "Verwechslung"

24.01.2010

Zu den (1) Kommentaren

Ich bin meist heilfroh, dass mir mein Mann Hannes den Einkauf im Supermarkt abnimmt. Aber da er selbst stark sehbehindert ist, ist einkaufen auch für ihn nicht ganz einfach. Zwar hat er ein kleines Lesegerät, mit Handschlaufe stets griffbereit, aber bei der von ihm benötigten Vergrößerung passen eben nicht viele Buchstaben in das Lesefeld. Da kommt es schon vor, dass er von ein paar gelesenen Buchstaben auf den Produktnamen schließt, ohne sich im Detail zu vergewissern, ob seine Vermutung auch stimt.

Auch sind hübsch, aber keinesfalls sehbehindertengerechte Designs wenig geeignet, die Auffindung von relevanten Produktinformationen zu erleichtern: Da konkurriert mitunter orange Schrift auf rotem Grund mit winzig-kleinen, oft auch noch verschnörkelten Buchstaben. Und natürlich ist eine der wichtigsten Informationen, nämlich das Haltbarkeitsdatum, meist besonders unauffällig aufgedruckt oder gar nur geprägt.

Kein Wunder, dass es manchmal zu kleinen Pannen kommt, die ärgerlich, aber auch unterhaltsam sein können, wie diesmal ...

Find it out

Auf unserem Speiseplan steht Kartoffelbrei - hausgemacht, versteht sich. Da Wochenende ist, gehe ich mit einkaufen. Dabei streiten in mir immer zwei Seelen: Die eine ist genervt, weil das Suchen nach den gewünschten Waren Detektivarbeit gleicht, die andere ist neugierig und möchte gerne im reichhaltigen Angebot nach noch nicht bekannten Produkten stöbern, wofür meist wenig Zeit bleibt. Denn zuerst kommt natürlich die Pflicht und dann erst die Kür.

Das gemeinsame Einkaufen hat aber auch einen ganz praktischen Nutzen:

Arbeitsteilung.

Unsere erste Station ist die Obst- und Gemüseabteilung, wo ich nach den richtigen Kartoffeln fahnde (es müssen mehlige sein). Aus den "modernen" Beschriftungen (Beilagen-, Salat-Kartoffeln) kann ich das schlecht ableiten, also muss der geübte Griff meiner Finger herhalten. Kartoffeln sind zum Glück meist in netzen und so kann ich gut fühlen, welche Form (groß oder klein, gerade oder gebogen, dick oder dünn ...) und welche Schalenart (rau oder glatt) sie haben.

Ich werde diesmal erstaunlich rasch fündig und wir machen uns auf den Weg in die Kühlabteilung, wo Hannes die Aufgabe hat, einen halben Liter Vollmilch zu suchen. Leider sind auch Buttermilch, Sauermilch, Trinkkakao und noch so einige weitere Milchprodukte identisch verpackt, sodass meine trainierten Finger gar nichts ausrichten können. Es fühlt sich einfach alles gleich an.

Hannes zückt also sein Lesegerät und ackert sich durch das Kühlregal, sieht ein großes "V" und verbindet damit "Vollmilch", legt die Packung in den Einkaufswagen und wir pilgern erfolgsgewiss zur Kasse.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Ich will es kurz machen: Zum Glück habe ich die Angewohnheit, alle Lebensmittel vor Verwendung durch Vorkosten zu testen. Als ich die vermeintliche Vollmilch öffne, einen Schluck in ein Glas gieße und davon koste, zeigt sich, dass "V" nicht gleich "Vollmilch" bedeuten muss. In diesem Fall ist es jedenfalls eine Vanillemilch, wie mir mein Geschmacksinn verrät.

Natürlich ist jetzt Sonntag und der Supermarkt daher geschlossen. Also läutet Hannes bei der Nachbarin und fragt nach ein wenig Milch. Und wie das Leben manchmal so spielt, erzählt sie ihm, dass sie für eine Woche wegfahren möchte und die restliche Milch soeben entsorgen wollte, damit diese nicht im Kühlschrank vergammelt.

Es mag ja sein, dass man bei einer vorhandenen Sehbehinderung beim Einkaufen besonders vor- und umsichtig sein soll, aber Sie können sich vermutlich nicht vorstellen, wie viel Zeit dabei ins Land zieht. Betrachten Sie einfach eine Lebensmittelverpackung und stellen Sie sich vor, Sie könnten immer nur 5 Buchstaben der Beschriftung auf einmal lesen und müssten jedes "verdächtige" Produkt erst aus dem Regal nehmen und unter die Lupe halten, um herauszufinden, worum es sich handelt. Spätestens nach eineinhalb Stunden Aufenthalt im Supermarkt reicht das "V", um damit "Vollmilch" zu assoziieren.

Jedenfalls werde ich auch künftig Lebensmittel vorkosten, bevor ich sie verwende. Das hat sich ebenso bewährt wie unser Glück bei den Nachbarn, wenn es einmal zu einer Einkaufs-Panne gekommen ist.

Rückblickend kann ich einfach nicht anders: Ich finde solche Situationen zum Schreien komisch.

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1 Kommentar

  1. Michèle schrieb am Samstag, 30.01.10 03:09 Uhr:

    Danke für einen Grund zum amüsiert Lachen zu später Stunde...
    Habe gerade ihren Blog entdeckt und finde ihn toll!

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