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Gebloggt
Es ist erstaunlich, wie sehr moderne Technik den Alltag mit einer Behinderung erleichtert - und erschwert, wenn sie ausfällt.
Web-abhängig? - Irgendwie schon
15.09.2010
Ich sage es nur ungern: Ohne Anbindung an die digitale Außenwelt via e-Mail, Internet & Co. bin ich extrem gehandicapt.
Der Tag begann schon mit einer kleinen Odyssee. Aufgrund eines Stromausfalls fuhr die Straßenbahn eine andere Route und ich befand mich plötzlich auf unbekanntem Terrain. Zufolge einer falschen Auskunft durfte ich dann auch noch einen weiten Umweg mit dem Autobus fahren - ohne Tonbandansage und voller Sorge, die richtige Station zu verpassen.
Endlich im Büro angekommen, verhieß der extrem langsame Start meines PCs nichts Gutes; wir hatten keine Daten-Verbindung zur Außenwelt - auch die Telekom war vom Stromausfall betroffen.
Es versprach also ein ruhiger Arbeitstag zu werden, ohne Feed-Nachrichten, Skype-Anfragen, getwitterte Links & Co., nur gelegentlich unterbrochen von den wenigen, die noch via Telefon kommunizieren. Der richtige Tag, um sich der Zusammenstellung unserer literarischen Zeitschrift zu widmen - dachte ich.
Es konnten zwar keine neue e-Mails einlangen, aber Anfragen von Kunden via e-Mail haben den Vorteil, dass sie sich nicht an Geschäftszeiten halten müssen. Und so widmete ich mich vorerst den fünf Nachrichten, die noch am Vortag in den Abendstunden eingelangt waren.
Buch-Recherche
Die 1. Nachricht enthielt eine Anfrage, welche Bücher von und über Helen Keller es in Braille-Schrift gibt - eine Recherche also und etwas, das ich gerne mache. Erst als mein schneller Finger bereits den Browser geöffnet hatte, wurde mir klar, dass ich logischerweise keinen Zugriff auf den im Web verfügbaren Zentralkatalog habe. Also Mail zu und die nächste auf.
Überprüfung verschoben
Die 2. Mail enthielt die Bitte eines Bekannten, einen Blick auf seine Webseite zu machen, er habe da etwas ausprobiert. OK, ebenfalls aufgeschoben!
Kurz: Von den insgesamt fünf Mails konnte ich nur eine erledigen - aber natürlich nicht beantworten, wie es sich gehört.
Zum Tagesgeschäft
Für die Zusammenstellung und Korrektur der bereits erwähnten Zeitschrift ist kein Zugang zum Internet erforderlich - normalerweise zumindest nicht. Aber gerade diesmal verunsichern mich zwei einander widersprechende Schreibweisen eines geografischen Namens. Das würde ich jetzt gerne nachschlagen, aber wir sind ja offline.
Als dann mein Kollege mit einer Spezial-Frage zum Thema CSS anrückte, musste ich ihn wieder wegschicken. Normalerweise mache ich einen Blick in meine Skype-Kontakte, um einen Experten zu finden. Aber Skype benötigt eben auch einen Zugang zum Netz der Netze. Für die Twitter Timeline gilt natürlich dasselbe.
Als unangenehm empfinde ich auch, dass ich weder einen Blick in eine elektronische Tageszeitung werfen noch eine gerade benötigte Telefonnummer nachschlagen kann.
Ein beachtlicher Stapel
Als ich gegen 15.30 Uhr mein Büro verlasse, um zur Redaktionssitzung zu fahren, hat sich auf meinem Schreibtisch ein kleiner Stapel an Braille-Schrift-Zetteln mit den Erledigungen für den nächsten Tag angesammelt - alles Arbeiten, die ohne Verbindung zum Internet nicht lösbar waren. Immerhin: zwei oder drei der anfallenden Aufgaben konnte ich telefonisch erledigen, weil sich die benötigten Informationen direkt auf meinem Rechner befanden. Der Rest wartet auf den morgigen Tag - hoffentlich wieder mit Anbindung an die Außenwelt.
Zur Klarstellung
"Was, blinde Menschen surfen sogar im Web?", wunderte sich unlängst mein Gegenüber, als ich im Zug mein Netbook aufklappte und eine Bahnverbindung nachschlug.
Ich sage es mit allem Nachdruck: Ja, sie tun es, und zwar weit häufiger als andere und weil sie oft genug keine Alternative haben. Wie sonst sollte ich meine Tageszeitung lesen, Bankgeschäfte erledigen und Nachschlagewerke benutzen? Ich jedenfalls fühle mich zusätzlich behindert, wenn mir der heiße Draht zur Web Community abhanden kommt.
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