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Der Langstock ist ein tolles Hilfsmittel. Ein hilfreicher Mensch als Wegbegleiter ist ein Geschenk.

Sehen mit den Ohren

20.05.2011

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Ich steige aus der Straßenbahn aus. Vor mir stehen etliche Leute, die einsteigen möchten und ich suche mir einen Weg an ihnen vorbei. Zwei Männer stehen laut debattierend mitten auf dem Durchgang. Sie sind laut genug zu hören und darum auch leicht zu umgehen. Dass ich geradewegs auf den Laternenpfahl zusteuere, kann ich ebenfalls gut hören und korrigiere nach rechts, setze meinen Weg bis zu den Geleisen fort und halte kurz an. Eine Straßenbahn steht in der Station, Leute steigen aus oder ein; also wird die Bahn nicht sofort abfahren und ich könnte die Geleise überqueren. Allerdings muss ich darauf achten, ob sich aus der Gegenrichtung ein Zug nähert. Darum lausche ich angestrengt nach rechts. Ein Zug wäre gut zu hören, denn einerseits kommen sie in raschem Tempo daher, andererseits befinden sie sich aber schon im Bremsbereich der Station, was das Geräusch noch erhöht.

Nein, es kommt keine Straßenbahn und ich kann überqueren, gehe noch ein paar Schritte und befinde mich dann ungefähr an jener Stelle, wo sich nach Einlangen der Straßenbahn der letzte Einstieg befinden muss. Dort wartet bereits eine Dame, die mich von sich aus darüber informiert, dass eine Störung am Monitor angezeigt wird und der nächste Zug erst in 39 Minuten zu erwarten ist. Während ich noch überlege, was zu tun ist, nähert sich der Anzeige zum Trotz ein Zug und wir steigen beide plaudernd ein.

All das ist alltäglich und gewohnt, aber heute bin ich ganz besonders dankbar für die vielfältigen Informationen, die mir meine Ohren liefern und mir eine selbstständige und auch sichere Orientierung, vor allem aber Kommunikation ermöglichen.

Gestern war das anders.

Gehörverlust

Als ich gestern die Straßenbahn verließ, dröhnte mir das Gehämmer eines Presslufthammers entgegen. Oder waren es zwei? Nein, das 2. Geräusch war ein Widerhall von den Gebäuden gegenüber. Aber gerade darum war es erst recht nicht möglich festzustellen, wo genau sich denn diese lärmende Baustelle befindet.

Verunsichert tat ich ein paar Schritte in die gewohnte Richtung und damit auf das unangenehme Geräusch zu. Aber es hilft ja nichts hier stehen zu bleiben. Darum wage ich noch ein paar Schritte immer in der Hoffnung, dass die Arbeiter aufmerksam genug sein würden, mich von der Gefahrenzone fernzuhalten.

Nach kurzer Zeit spürte ich an meinem linken Arm eine leichte Berührung. Mein Versuch, mich verbal zu verständigen, scheiterte an dem ohrenbetäubenden Krach und der fehlenden Möglichkeit, mit der Person Blickkontakt aufzunehmen. Also ließ ich mich vertrauensvoll führen, zumal es auch in die richtige Richtung ging - und meinen Langstock habe ich ja auch noch.

Nach wenigen Schritten war mir klar, dass es sich um jemanden handeln musste, der mich vom Sehen her kannte und genau wusste, wohin ich wollte. Es ging rasch voran. Wir überquerten zügig die Geleise und meine Begleiterin - ich vermutete anhand der Berührung, dass es sich um eine Frauenhand handeln musste - beschleunigte ihre Schritte. Vielleicht stand ja eine Straßenbahn in meiner Station?

Genau so war es auch. Und im Schutz der Straßenbahn, die jetzt eine Schallschutzwand zum Presslufthammer bot, war auch der erste verbale Informationsaustausch möglich. Meine Begleiterin zeigte mir den Haltegriff der noch offenen Straßenbahn und ich bedankte mich herzlich. Am liebsten hätte ich die Helferin für ihren Dienst umarmt.

Die Vorstellung, plötzlich nicht mehr hören zu können, hat etwas Beängstigendes für mich. Die damit verbundene Einschränkung meines Orientierungsvermögens ist enorm und würde einen herben Verlust an Selbstbestimmung und Lebensqualität darstellen.

Aber noch bedrückender wäre für mich der Verlust der Kommunikationsmöglichkeit mit den Menschen!

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3 Kommentare

  1. Fritz schrieb am Freitag, 20.05.11 12:02 Uhr:

    Hallo Eva,

    Irgendwo mal gelesen:
    "Blindheit trennt von Dingen, Gehörlosigkeit von Menschen."
    Ich vermute, du wirst das in dieser drastischen Verkürzung nicht unterschreiben. Aber die Kernaussage dürfte zutreffen.

    LG Fritz

  2. Fritz schrieb am Freitag, 20.05.11 22:03 Uhr:

    Ich hab es gefunden. Das Zitat ist von Helen Keller: http://www.zitate-online.de/autor/keller -helen/

  3. Eva schrieb am Samstag, 21.05.11 09:27 Uhr:

    Hallo Fritz,
    Danke für diesen Input.
    Wir sollten Helen Keller glauben. Wer, wenn nicht sie, könnte das beurteilen?

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