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... Ich bin nun mal kein auditiver Typ.

Zur Abwechslung mal wieder ein Hörbuch

08.09.2011

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Ob nun Sachbuch oder Belletristik - lesen assoziiere ich ganz automatisch mit der Braille-Schrift, sei es nun auf Papier oder in elektronischer Form auf einer Braille-Zeile. Es scheint von meinen tastenden Fingern einen direkten heißen Draht in meinen Kopf zu geben, der eventuelle Lesefehler und Verzögerungen korrigiert. Mühelos entstehen je nach Lektüre düstere oder bunte, unscharfe oder detaillierte Bilder, die Menschen und Orten Leben verleihen. Ich tauche ein in das Geschehen, als wäre ich selbst Teil der Handlung. Meine Finger huschen über die Punkte wie bei anderen das Auge über Zeilen und Absätze. Ich lese mich fest, vergesse Zeit und Ort ...

Manchmal, wenn auch eher selten, greife ich dennoch zu dem Medium Audiobuch. Ich habe immer einige auf Vorrat bereit, um zwischen unterschiedlichen Autoren und Genres wählen zu können. Es gibt aber noch einen weiteren, für mich wesentlich bedeutenderen Grund für mein Bedürfnis nach einer größeren Auswahl: Manche Hörbücher mag ich einfach nicht oder korrekter: Ich mag den Vorleser nicht.

Derzeit habe ich mehr Zeit zum Lesen und darum habe ich wieder einmal meinen Vorrat an Hörbüchern durchforstet und mir etwa eine Handvoll herausgesucht, deren Autoren oder Titel mich reizen. Nach zehn Minuten Hineinhören stand für mich fest: Vier von diesen fünf Büchern möchte ich keinesfalls auf meinen Ohren haben.

Der Grund: Nach wenigen Sätzen war ich nicht etwa in die Welt des Buches eingetaucht, sondern geradezu genervt. Der eine Sprecher las eine Landschaftsbeschreibung derart militant, als müsste er seinen Rekruten Befehle erteilen, ein anderer interpretierte eine ziemlich unheimliche Szene in einer Art Flüsterton, der besser zu einer erotischen Szene gepasst hätte, und ein dritter machte ständig unmotivierte Pausen im Text unter strikter Missachtung der Interpunktion.

Entschieden habe ich mich schließlich für ein Jugendbuch eines mir unbekannten Autors, von dem ich im Internet nicht einmal eine Inhaltsangabe finden konnte. Und das nur, weil mir die Interpretation des Sprechers gefällt und mir seine Stimme sympathisch ist.

Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass meine Darstellung zum einen äußerst subjektiv ist und zum anderen auch übertrieben sein kann. Anlass genug, über die Ursachen meiner Aversion nachzudenken. Muss ich etwa das Hören eines Audiobuches trainieren? Oder korrekter: Muss ich mehr Toleranz gegenüber unterschiedlichen Interpretationen lernen?

Eigensinnig oder hypersensibel?

Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, dass mein erschwerter Zugang zum Medium Audiobuch eher atypisch ist. Die meisten lesen - oder hören - ein Buch, weil es sie interessiert. Im Vordergrund steht der Inhalt, die Interpretation ist Nebensache. Viele würden sogar grobe Mängel bei der Interpretation in Kauf nehmen. Ich hingegen bin äußerst empfindlich auf feinste Nuancen, die mir mitunter auch die beste Lektüre vermiesen können.

Und dabei muss man nahezu allen Sprechern von Hörbüchern Professionalität konzedieren. Auch wenn ich es anders empfinde, gehe ich davon aus, dass nicht nur die Vorleser, sondern auch die Lektoren echte Profis sind und das marktfertige Produkt die geforderte Qualität besitzt, weil es sich andernfalls wohl kaum verkaufen würde.

Das Problem liegt also nicht ausschließlich beim Medium, sondern mehr bei mir selbst. Und bei näherer Analyse meines Verhaltens beschränkt sich die Empfindlichkeit keinesfalls auf die Interpretation von Hörbüchern. Ich habe während der Arbeit nie ein Radio an, schalte die Sprachausgabe am Computer, wenn irgend möglich, ab, ich meide Restaurants mit hoher Geräuschkulisse, besuche fast ausschließlich Konzerte ohne Verstärkeranlagen und nutze Kopfhörer fast nur dann, wenn ich Umweltgeräusche aussperren und mich besonders intensiv auf den Text konzentrieren möchte.

Maschine versus Mensch

Mindestens ebenso atypisch wie meine Sensibilität gegenüber Stimmen und Interpretation ist meine Entscheidung, ein Buch lieber mit einer Synthetischen Sprachausgabe anzuhören als von einem Menschen gesprochen, dessen Stimme oder Vorlesetechnik ich nicht leiden kann. Ein Synthesizer interpretiert rein nach Grammatik und Orthografie. Er bleibt völlig unberührt von jeglichen menschlichen Emotionen oder Stimmungen verbal gemalter Bilder. Er überlässt es mir, welche Stimme und Betonung ich den handelnden Personen verleihen möchte und er erlaubt mir, je nach Text die Geschwindigkeit zu erhöhen oder zu reduzieren. Der Synthesizer rattert mühelos über den schwierigsten Dialekt hinweg und seine Aussprachefehler sind sozusagen vorherseh- und somit berechenbar.

Ein echter Ohrenschmaus

Aber oft habe ich auch Glück. Nämlich dann, wenn ich an einen Vorleser gerate, der mich unmerklich in die Lektüre entführt und ich mich ganz entspannt zurücklehnen kann. Sicher, manchmal ist es einfach nur eine faszinierende Stimme, die ich als angenehm, harmonisch oder auch erotisch empfinde. Aber viel häufiger ist es die Art der Interpretation, die richtige Länge oder Kürze der Pausen, das leichte Senken und Heben der Stimme, nicht übertrieben, aber deutlich genug, um meine Aufmerksamkeit auf die wichtign Fakten zu lenken. Ein Zögern hier, eine verlängerte Pause dort, kleine, aber unüberhörbare Akzente, die erkennen lassen, dass hier jemand nicht nur vorliest, sondern selbst in die Lektüre eintaucht, ohne gleich eine Ein-Mann-Show (oder Ein-Frau-Show) abzuziehen in dem Versuch, einen Theaterabend ersetzen zu wollen.

Ich danke diesen begabten Interpreten für ihr Geschick die Balance zwischen zu viel und zu wenig Interpretation zu finden. Solche Hörbücher verschaffen mir nicht nur den Genuss mich entspannt in eine andere Welt entführen zu lassen, sondern geben meiner Fantasie genug Nahrung, Personen und Handlung Leben zu verleihen - ganz so, wie beim Lesen der Braille-Schrift mit meinen Fingern.

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