Sie sind hier:
Gebloggt
Bisher ist alles gut gegangen.
Die Sache mit dem Kick
20.07.2012
Während meiner Schulzeit und noch etliche Jahre danach mochte ich es ganz gern ein wenig bewegt. Achterbahnen mit und ohne Looping oder die große Schiffschaukel im Prater, in der uns der Betreiber oft genug kopfüber eine Weile hängen ließ, bereiteten mir ebenso großes Vergnügen wie eine rasante Fahrt mit der Sommerrodelbahn oder eine Talfahrt mit dem Tandem in geduckter Haltung, um den Luftwiderstand zu verringern.
Nach meinem (Rad-)Unfall mit schwerer Gehirnerschütterung und der schlagartigen Erkenntnis, wie dünn infolge hoher Geschwindigkeit der Lebensfaden werden konnte, verlor ich, vermutlich aufgrund des Schocks, ein wenig die Lust am Tempo. Ich begann vorsichtiger zu werden. Oft genug hatte ich früher ohne viel nachzudenken hinter einer Straßenbahn und ohne Schutzweg eine Straße in dem Vertrauen überquert, dass ich zumindest gesehen wurde, wenn ich schon selbst nicht gut genug sehen konnte.
In dem Wissen, dass Unfälle meist auf das Fehlverhalten nicht nur eines Beteiligten zurückzuführen sind, erhöhte ich nach und nach meine Aufmerksamkeit im Straßenverkehr. Für meine Wege durch das verkehrsreiche Wien suche ich mir inzwischen längst nicht mehr den schnellsten, sondern den sichersten Weg an mein Ziel.
Darum bin ich auch froh um meinen sehr einfachen Weg zur Arbeit, vor allem beim Umsteigen am Schottenring: Ich muss keine Straße überqueren, nur eine Fläche für Fußgänger sowie die beiden Geleise der Linie 1. Nähert sich von links eine Straßenbahn, so ist dies ungefährlich, denn sie muss vor dem Übergang in der Haltestelle ohnehin anhalten. Kommt ein Zug auf dem anderen Geleise von rechts, kann ich ihn gut hören, weil er sich in raschem Tempo nähert, jedoch bereits die Bremsung vor der Haltestelle einleitet.
“Hören konnte”, sollte ich besser sagen. Denn seit geraumer Zeit wachsen am Schottenring die Baustellen wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden - und das nicht erst mit Beginn des berühmt-berüchtigten Wiener Baustellensommers. Nein, seit Monaten erzeugen hier Rammen, Pressluftbohrer, Dieselaggregate und schwere Lastautos eine Kakophonie, die alles übertönt - natürlich auch die herannahende Straßenbahn.
Dass ich bei dem Krach, der von mehreren Seiten auf mich eindringt, auf Passanten nicht rechtzeitig aufmerksam werde und gelegentlich eine kleine Kollision passiert, finde ich nicht weiter schlimm. Beim Überqueren der Geleise allerdings steigt mein Adrenalinspiegel jedes Mal spürbar. Frei nach dem Motto “Augen zu und durch” überquere ich meist im Laufschritt das 2. Geleise in der Sorge, das laute Bimmeln der Warnglocke gar nicht oder zu spät zu hören und in der Hoffnung, dass der Fahrer einer eventuell herannahenden Straßenbahn noch rechtzeitig durch heftiges Klingeln reagieren kann, wenn der Bremsweg nicht reichen sollte. Allerdings befürchte ich, dass ich, wie viele andere Menschen, bei diesem Signal wie erstarrt stehen bleiben würde - genau die falsche Reaktion.
Und so kommt es, dass ich fast täglich meinen Kick habe, auf den ich allerdings gut und gern verzichten könnte. Mir bleibt natürlich die Hoffnung, dass selbst die größten Bauvorhaben irgendwann ein Ende haben müssen.
Hilfe durch moderne Technik
Irgendwann habe ich mir angewöhnt, bei Annäherung an die Station die Countdown-Anzeige der Wiener Linien via iPhone zu nutzen, um festzustellen, wann die nächste Straßenbahn kommt. Das ist keine Garantie für absolute Sicherheit, aber zu einem hohen Prozentsatz zuverlässig. Aber selbst die hat mich in den letzten Tagen wegen eines technischen Problems im Stich gelassen. Zum Glück funktioniert sie heute wieder. Erstaunlich, wie sehr man sich an solche kleine Hilfen gewöhnen und sie bei Nichtverfügbarkeit vermissen kann.
2 Kommentare
Einen Kommentar zu diesem Artikel schreiben:
Ich behalte mir vor, Einträge wider die guten Sitten oder den guten Geschmack zu entfernen, möchte meine Leser jedoch ausdrücklich zu themenbezogenen Kommentaren oder Fragen ermutigen.
Fritz schrieb am Freitag, 20.07.12 17:10 Uhr:
Ui, mir läuft es ganz kalt über den Rücken, bei dem Gedanken, mein Leben einer - prinzipiell nicht fehlerfreien - Technik anvertrauen zu müssen. Das Problem dabei: Wenn dein Gehör - wegen der Lärmverschmutzung - ausfällt, dann meldet das Gehör, oder besser das Kontrollorgan, das für die Verarbeitung der Signale zuständig ist, dass dieser Dienst momentan »außer Betrieb« ist.
Wenn die Countdown-Anzeige auf den iPhone außer Betrieb ist, na ja, dann ist das lästig, aber nicht unmittelbar lebensgefährlich. Was aber, wenn sie »nur« falsche Daten anzeigt?!
Andererseits: Auch die Bremsen meines Autos könnten mir so einen Streich spielen. Ausfallen, ohne dass die ausgefeilte Elektronik im Auto das anzeigt. Warum also läuft mir beim Losfahren kein Schauer über den Rücken?
Eva schrieb am Freitag, 20.07.12 18:11 Uhr:
Hallo Fritz,
Also ich "vertraue" der Technik keineswegs blind, aber sie ist in bestimmten Situationen immer noch besser als gar keine Information. Und wenn ich bereits vor dem Aussteigen in halbwegs lärmfreier Umgebung erfahre, dass die nächste Bim in 5 Minuten kommt, dann fühle ich mich ein wenig sicherer als ohne dieses "Wissen".
Dass dir kein Schauer über den Rücken läuft, wenn du dein Auto startest, finde ich ziemlich normal. Wann haben den zum letzten Mal die Bremsen gestreikt? Ich hoffe noch nie. Vertrauen in diese Art von Technik ist sehr alltäglich. Etwa wenn ich in ein Flugzeug steige, erwarte ich, dass es sich so lange in der Luft hält, wie der Pilot das möchte.