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Wie viel Freude doch ein weiteres Stück Unabhängigkeit bereiten kann!

Der smarte Wegbegleiter

07.08.2014

Zu den (6) Kommentaren

Schon vor langer Zeit wollte ich einen kurzen Bericht über moderne Hilfen zur Orientierung für blinde und sehbehinderte "Pfadfinder" schreiben, aber immer waren andere Dinge vorrangig. Jetzt ist es endlich so weit.

Mein Werkzeug für diesen kleinen Praxisbericht ist mein iPhone 5S. Ich gehe aber davon aus, dass auch andere Smartphones vergleichbare Möglichkeiten bieten.

Die einzelnen Aktionen, die hier beschrieben werden, stellen keine Empfehlung dar. Es mag schnellere, effizientere und bessere Wege geben ans Ziel zu kommen. Ich beschreibe hier jene Methoden, die mir einerseits angenehm sind und die andererseits für die gerade anstehende Aufgabe günstig erscheinen.

Kurzer Rückblick

Noch vor wenigen Jahren war der Griff zum Telefon das Mittel meiner Wahl, wenn es darum ging, Adresse und Telefonnummer etwa eines Geschäfts herauszufinden. Freunde, Kollegen und die Telefonauskunft haben mir die benötigten Informationen mitgeteilt. Den Weg dorthin musste ich irgendwie erfragen.

Die smarte Variante

Bevor ich den Weg von der Informationsbeschaffung bis zum Ziel beschreibe, hier ein Blick auf meinen "Werkzeugkasten":

Es bieten sich viele weitere Apps an, darunter das bekannte und auch mit VoiceOver gut bedienbare Navigon. Zum Glück gibt es inzwischen mehrere Wege, die zum gewünschten Ziel führen.

Vorbereitung zu Hause

Ich bin bei der Recherche zwar nicht an die eigenen vier Wände gebunden. Sie bieten mir aber, was ich beim Recherchieren gerne habe: eine ruhige Umgebung und mehr Bequemlichkeit als beispielsweise auf der Straße oder in den Öffis.

Notwendig ist diese Vorbereitung freilich nicht. Sie dient vor allem meiner Bequemlichkeit und der entspannten Nutzung aller verfügbaren Quellen. Und - ich gebe es zu - auch der Befriedigung meines Spieltriebs. Unterwegs geht es einfach um den raschesten Weg; zu Hause ist auch Zeit für Experimente.

Konkret suche ich diesmal nach einem Nagelstudio in Wohnortnähe. Die Begriffe "Nagelstudio" und meine Postleitzahl "1200" sind meine wichtigsten Anhaltspunkte. Man mag ja über Google denken, wie man will. Wenn es darum geht, rasch etwas herauszufinden ohne viel nachdenken zu müssen, lande ich regelmäßig dort.

Die Eingabe der beiden Suchkriterien liefert an prominenter Stelle den Eintrag im Telefonbuch Herold. (Warum ich nicht gleich dort zu suchen beginne, findet meine Leserschaft vielleicht selbst heraus.)

Von den drei Treffern entscheide ich mich für den Eintrag in der Treustraße, der von der Lage und der Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln am ehesten auf meinem Nachhauseweg liegt.

Ich habe den Vorteil, die Treustraße zu kennen, aber die ist lang und ich habe keine Ahnung, wo ungefähr die Hausnummer 18 liegen könnte und welche Querstraße sich dort befindet.

In einem ersten Schritt gebe ich die Adresse in die App BlindSquare ein und simuliere diesen Ort. Das bedeutet, dass BlindSquare sich so verhält, als befände ich mich bereits dort. Ein weiteres Feature dieser App heißt "umsehen". Sobald ich diesen Modus starte, kann ich mich um die eigene Achse drehen und in allen vier Himmelsrichtungen die Straßenkreuzungen abfragen. So erhalte ich einen Eindruck, welche Straßen sich in der Nähe befinden und wie weit sie jeweils von der simulierten Adresse entfernt sind. Eine davon ist die Wallensteinstraße, eine Hauptverkehrsader in meinem Bezirk und in der Nähe einer U-Bahn-Station gelegen, die für mich gut erreichbar ist.

Ich beende das Umsehen und die Simulation. Bevor ich BlindSquare schließe, speichere ich jedoch die Adresse unter "Meine Orte" ab und sage der App, sie möge mich durch ein akustisches Signal aufmerksam machen, wenn ich mich dem Ort auf 10 Meter nähere.

Nun wechsle ich zu Google Maps und plane den Fußweg von der U-Bahn-Station zum Ziel Treustraße 18. Weil ich die Örtlichkeiten kenne und weiß, dass die Wallensteinstraße dort beginnt, gebe ich "Wallensteinstraße 1" als Startpunkt ein. Noch weiß ich ja nicht, ob ich von dieser links oder rechts abbiegen muss. Bis dorthin finde ich auch ohne Navigationshilfe. Wer über diese Vorkenntnisse nicht verfügt, gibt eben "Friedensbrücke" als Startpunkt ein.

Das Ergebnis ist eine kurze verbale Beschreibung mit Entfernungsangabe sowie Richtungshinweisen, aus denen ich den Weg sehr gut ableiten kann.

Auf ins Gewühl

Als gelernte Wienerin brauche ich für die Planung der Verkehrswege nur selten eine entsprechende App, aber es gibt sie natürlich - zum Beispiel Qando. Die App bietet auch Echtzeitinformationen, wann das nächste Verkehrsmittel kommt und um welche Linie es sich handelt. Da ich die Route nicht plane, sondern nur herausfinden möchte, wie lange ich warten muss, nutze ich die App Wann?, weil sie mir ohne weitere Eingabenotwendigkeit meinen Standort und die Abfahrtszeit anzeigt.

Mein Weg führt mich mit der Straßenbahnlinie 1 bis Schwedenplatz, wo ich in die Linie U4 umsteige. Für diesen Weg benötige ich keine weitere Hilfe, aber sie wäre vorhanden: Das Projekt POPTIS bietet Wegbeschreibungen von und zu den U-Bahn-Stationen, die speziell für blinde Menschen erstellt wurden.

Auch die Örtlichkeiten auf der Friedensbrücke sind mir bekannt und ich finde vorläufig meinen Weg noch ohne technische Hilfe. Sobald ich allerdings die Brücke und im Anschluss daran die Brigittenauer Lände überquert habe, wird es wieder Zeit für BlindSquare.

Aus der Routenbeschreibung weiß ich, dass ich von der Wallensteinstraße rechts abbiegen muss. Also überquere ich diese und gehe auf der rechten Straßenseite mit den geraden Hausnummern entlang. Auch aus Gründen der Sicherheit ist dies der richtige Weg, denn hier befindet sich eine akustische Verkehrsampel. Auch diese Information kann ich jederzeit auf der Liste der akustischen Verkehrsampeln der Stadt Wien abfragen, wenn ich sie nicht schon hätte.

Während ich die Wallensteinstraße entlang gehe, informiert mich die App von Zeit zu Zeit über die Hausnummern und vor allem sagt sie mir an, sobald ich mich der Treustraße nähere. Durch die vorab geplante Route weiß ich, dass ich zum einen in die Treustraße rechts einbiegen muss, zum anderen, dass sich mein Ziel auf der linken Straßenseite befindet. Ich überquere also die Treustraße und befinde mich schon auf der richtigen Straßenseite und kann mich schon wieder auf die Ansage der Hausnummern konzentrieren.

die Treustraße ist nicht sehr breit, die Häuser mehrstöckig, das GPS-Signal daher nicht sehr genau. Durch die Angabe der Strecke von 30 Metern weiß ich aber ungefähr, wie weit ich gehen muss und außerdem erinnert mich ja BlindSquare, wenn ich mein Ziel erreiche. Mangels Blindenführhund muss ich den Eingang selbst suchen und frage zur Sicherheit nach, ob ich auch richtig bin.

Für den Weg nach Hause könnte ich dieselbe Methode wählen, aber den finde ich auch ohne Navigationshilfe. In völlig fremder Umgebung, wie etwa in Berlin, wäre das anders. Aber Berlin ist ein eigenes Thema, auf das ich zu gegebener Zeit zurück kommen werde.

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6 Kommentare

  1. Fritz schrieb am Donnerstag, 07.08.14 13:28 Uhr:

    Faszinierend, was Technik heute ermöglicht. Auch, und vor allem Menschen mit einer Behinderung.
    Bei aller Bewunderung für die Technik wird aber im Beitrag auch eins deutlich: Blinde Menschen können heute (fast) alles selbständig erledigen. Sie müssen aber oftmals auch für relativ einfache Tätigkeiten ein Vielfaches an (Planungs-)Zeit aufwenden.

  2. Eva schrieb am Donnerstag, 07.08.14 14:02 Uhr:

    Es ist schon richtig, dass ich für das Herausfinden eines Straßennamens und der Hausnummer oder eines Geschäftslokals technische (oder menschliche) Hilfe benötige, Dinge, die von jedem anderen so automatisch wahrgenommen werden, dass es den meisten gar nicht bewusst ist.

    Die Vorbereitungszeit könnte man sich aber auch sparen. Ich kenne genug blinde Smartphone-Anwender, die einfach los marschieren und ihr Hilfsmittel irgendwo unterwegs zücken.

    Mein Multitasking lässt mit zunehmendem Alter aber zu wünschen übrig, sodass ich es vorziehe, mich draußen in erster Linie auf das Umfeld und erst in zweiter Linie auf meine mitgeführte Technik zu konzentrieren. Das hängt auch stark vom Menschentyp ab.

    Auch blinde Anwender sind eben Individuen.

  3. Martin Ladstätter schrieb am Donnerstag, 07.08.14 23:35 Uhr:

    Danke Eva! Super Beitrag von Dir. Sehr anschaulich.

  4. Backi schrieb am Samstag, 09.08.14 10:21 Uhr:

    Hei Eva,
    sehr gut umschrieben und für den einen oder anderen gewiß eine super Anleitung wie er in Zukunft verfahren kann.. wenn er sich doch schwer tut, einen Anfang zu finden:-)

    Ich finde gerade für Neulinge in Sachen draußen zurecht kommen ist es ein idealer Weg um es anzugehen. Herzlichen Dank und Grüße mir auch den Hannes.. ihr steht bei mir auf dem Plan für nächstes Jahr:-)

  5. Dorothea schrieb am Montag, 11.08.14 16:14 Uhr:

    Wieder mal ein interessanter Beitrag, in gewohnt angenehmem Stil geschrieben :-)
    Ich weiß auch schon, wem alles ich ihn empfehlen werde!

    Und wie Du schreibst: jeder hat seine Vorgehensweisen; die einen sind lieber spontan, die anderen planen gern.

  6. Eva schrieb am Dienstag, 12.08.14 18:35 Uhr:

    Vielen Dank euch allen für die positiven Rückmeldungen. Mein wichtigstes Ziel, verständlich einige Möglichkeiten an Unterstützung via Smartphone aufzuzeigen, scheine ich erreicht zu haben. Jetzt kann ich in Ruhe darüber nachdenken, welche weiteren technischen Helfer ich ansatzweise vorstellen könnte, um einerseits blinde Einsteiger zu ermutigen und andererseits aufzuzeigen, welche Informationen blinde Straßenverkehrsteilnehmer gut auswerten können.

    Wer hier einen besonderen Wunsch deponieren möchte, der möge sich ermutigt fühlen. Ob ich der Aufgabe dann gewachsen bin, muss sich allerdings erst zeigen.

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