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Lernen

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Ich habe im Laufe meines Lebens etliche Schrift-Systeme kennen gelernt, aber ich denke seit meinem Schuleintritt in den 6 Punkten der Braille-Schrift, meinen "6 Richtigen".

6 richtige Punkte - ein Volltreffer

1961 - 1962

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Immer wieder werde ich gefragt, ob es denn schwierig sei, die Blindenschrift zu erlernen und wie selbstverständlich antworte ich: So schwierig wie das Erlernen jeder anderen Schrift.

Wer ab Schuleintritt mit den 6 Punkten vertraut gemacht wird, für den ist die Braille-Schrift selbstverständliches Kommunikationsmedium. Wer sie viel später lernen muss, hat sicher seine Mühe damit. Das ist ähnlich wie das Erlernen jeder fremden Schrift, sei es nun Hebräisch, Arabisch oder eines der vielen asiatischen Schriftsysteme.

Ich lade sie herzlich ein, am Unterricht blinder Kinder in einer 1. Grundschulklasse in den 1960er Jahren teilzunehmen und ihnen beim Lernen über die Schulter zu schauen.

Andere Methode, gleiches Ziel

Während die Erstklässler üblicherweise mit Papier und Bleistift und Buntstiften hantieren, Blumen, Tiere und Häuser zeichnen und die auf der Tafel stehenden Schriftzeichen nachmalen, gestaltet sich der Unterricht bei blinden Kindern etwas anders.

In einer Schulklasse sitzen maximal zehn Kinder und der Lehrer geht von einem zum andern, gibt ihnen die Werkzeuge in die Hand, erklärt, wozu sie dienen, zeigt die Handhabung und lässt sie die ersten eigenen Versuche machen.

Freilich sind es keine Buntstifte, mit denen gemalt und geschrieben wird. Denn Farben spielen so gut wie keine Rolle und nachahmen können die Kinder nur, was sie mit ihren Händen ertasten können oder zufolge detaillierter verbaler Erklärungen verstanden haben.

Auch Tasten will gelernt sein

Finger, erst recht, wenn sie noch klein sind, erfassen nur einen Bruchteil dessen, was die Augen als Gesamtheit wahrnehmen können. Das ist etwa so, als würde man mit einem Fernrohr die Landschaft absuchen. Erst nach und nach fügen sich die einzelnen Eindrücke wie in einem Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen.

Wenn kleine Kinderhände einen Gegenstand anfassen, der größer ist als beide Hände umschließen können, dann muss der betreffende Gegenstand von oben bis unten, von links nach rechts, von hinten und von vorn, also dreidimensional erforscht werden, und zwar möglichst systematisch. Genau wie bei der Handhabung des Fernrohrs muss ja ein Gesamtbild entstehen und der Gegenstand nicht nur ertastet, sondern im wahrsten Sinn des Wortes begriffen werden.

Angepasstes Lernmaterial und viel Kreativität

Der Inhalt von Schultaschen und die in den Klassenzimmern verfügbaren Unterrichtsmaterialien sind den Wahrnehmungsmöglichkeiten der Kinder angepasst.

Beim Schreiben und Lesen gibt es kein Schwarz auf Weiß, sondern erhaben oder vertieft auf glattem Grund. Konturen, Umrisse und Farben werden in Darstellungen durch unterschiedliche Oberflächenstrukturen wieder gegeben; Reliefs müssen Bilder ersetzen.

Freilich lässt sich mit dieser Methode die Vielfalt unserer Farbenwelt nicht einmal ansatzweise darstellen. Daher gibt es statt bunter Abbildungen auch so manches Modell zum Anfassen. Aber Vorerst beschäftigen wir uns mit dem Erlernen von Lesen und Schreiben, und zwar in der Braille-Schrift.

Die Braille-Schrift

Das Alphabet in Braille-Schrift

Vorerst beschäftigen wir uns aber mit dem Erlernen und dem Lesen der tastbaren Blindenschrift, nach deren Erfinder Louis Braille auch Braille-Schrift genannt.

Sie besteht aus sechs Punkten, zwei nebeneinander und drei untereinander, also ähnlich angeordnet wie der Sechser eines Würfels, wobei jedoch der Abstand zwischen den waagrechten und senkrechten Punkten gleich ist.

Links oben befindet sich der Punkt 1, darunter Punkt 2, und in der untersten Reihe der Punkt 3. Punkt vier ist rechts oben, darunter Punkt fünf und unten rechts Punkt 6.

Mit diesen 6 Punkten lassen sich insgesamt 63 Kombinationen darstellen, je nachdem, welche der Punkte gesetzt sind und welche nicht. Das reicht aus, um alle Buchstaben, Interpunktions- und Sonderzeichen darzustellen.

Das Steckbrett

Steckbrett aus Holz

Die ersten Buchstaben schreiben die Kinder mit dem Steckbrett. Das kleine Holzbrett mit den 6 deutlich fühlbaren Vertiefungen und den dazu gehörigen 6 Steckern, ebenfalls aus Holz, dienen keineswegs nur dazu, die Punktkombinationen der Braille-Schrift zu erlernen und zu üben, sondern sind darüber hinaus eine hervorragende Schulung für die tastenden Finger.

Das Braillett

Braillette aus Holz

Lesen und schreiben lernen ist natürlich weit mehr als einzelne Buchstaben zu schreiben und wieder zu erkennen. Buchstaben sollen sich ja zu Wörtern und zu ganzen Sätzen, also zu einer Bedeutung zusammen fügen.

Das Braillett bietet die Möglichkeit, nicht nur einen einzelnen Buchstaben, sondern ganze Sätze zu schreiben.

Beide Schreibwerkzeuge, sowohl das Steckbrett als auch das Braillett, haben den Vorteil, dass Geschriebenes jederzeit korrigiert, verändert oder ergänzt werden kann.

Beim Steckbrett sind die Buchstaben wohl besser zu fühlen, weil die Formen deutlich größer sind, aber für die Kinderhände ist das Abtasten eine ziemliche Herausforderung, weil die kleine Hand nie den ganzen Buchstaben zugleich erfühlen kann. Dafür wird aber auch das systematische Ertasten geübt, also wie man sich mit den Händen einen "Überblick" verschaffen kann.

Das Erfassen eines ganzen Buchstabens und in Folge eines ganzen Wortes ist am Braillett wegen der kürzeren Wege deutlich einfacher, jedoch sind die kleinen Nieten auch schwieriger zu ertasten und sie fallen bei unvorsichtiger Berührung leicht heraus. Also wieder eine Tastübung, durch die Vorsicht gelehrt und geübt wird.

Der Setzkasten

Setzkastenaus Holz

Eine deutliche Erweiterung und eine Herausforderung an die Kombinationsgabe ist der Setzkasten. Ältere Leser werden sich noch an diese Methode erinnern, kurze Sätze mittels Buchstaben zusammen zu setzen.

Geübt wird damit nicht nur das Schreiben, sondern auch Ordnung halten und Suchen. Außerdem wird dadurch auch die Merkfähigkeit trainiert. Das Kind muss sich merken, in welchem Kästchen sich welche Buchstaben befinden - oder es muss eben in jedes Kästchen hineingreifen, ein Holzplättchen herausnehmen und mit den Fingern abtasten, um welchen Buchstaben es sich handelt.

Schreiben auf Papier

Geschlossene Braille-Schreibtafel mit Griffel

Erst wenn alle den Großteil des Alphabets sicher beherrschen, lernen die Kinder, die Punkte der Braille-Schrift in Papier zu schreiben, genau genommen zu stechen.

Das ist nicht ganz so einfach wie das Schreiben mit Papier und Bleistift, denn die Punkte müssen mit Hilfe eines vorgegebenen Rasters, der Braille-Schreibtafel, geprägt werden. Dabei werden die Punkte von oben nach unten in das Papier gestochen.

Dazu bedarf es ein wenig Kraft, vor allem aber einer guten Koordinationsgabe. Denn geschrieben wird von rechts nach links, also in Spiegelschrift. Der Punkt 1 ist also nicht links oben, sondern rechts oben. Da kommt es schon gelegentlich zu Verwechslungen, aber Übung macht den Meister.

Das Geschriebene kann nur kontrolliert werden, wenn mit dem Schreib-Griffel die gestochenen Punkte nachgetastet werden.

aufgeklappte Braille-Schreibtafel mit beschriebenem Blatt

Sollen längere Passagen kontrolliert oder der gesamte Text (vor)gelesen werden, muss die Schreibtafel geöffnet und das Blatt gewendet werden, damit der Text flüssig gelesen werden kann. Jetzt natürlich wieder von links nach rechts. Soll weiter geschrieben werden, wird das Blatt wieder mit der Schrift nach unten eingelegt, der Raster zugeklappt und mit dem Schreib-Griffel die Position gesucht, an der weiter geschrieben werden kann.

Damit das Blatt nicht verrutscht und die in das Papier geprägten Punkte wieder exakt in die darunter liegenden Vertiefungen passen, gibt es an den Außenkanten der Schreibtafel einige Nieten, die zusätzlich durch das Papier gestochen werden, um es zu fixieren.

Gut gerüstet

Am Ende der 1. Grundschulklasse haben alle Kinder nicht nur in der Braille-Schrift lesen und schreiben gelernt, sondern, angeleitet durch ihren Lehrer, den Tastsinn trainiert. Die kleinen Hände suchen jetzt flink und greifen immer zielsicherer nach ihren Werkzeugen. Denn eine der wichtigsten Lektionen, die ein blindes Kind sehr früh lernen muss, ist Ordnung zu halten.

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1 Kommentar

  1. Elvira zimmermann schrieb am Samstag, 04.01.14 22:03 Uhr:

    Ich bin sehbehindert geboren , obwohl ich nicht richtig alles an der tafel erkennen konnte ging ich wie damals 1976 - 1985 in der schweiz in die regelschule ! Es war nicht immer toll mit den sehenden klassenkameraden trotz allem möchte ich die erlebte zeit nicht missen ! Da ich irgendwann erblinde durch meine augenkrankeit habe ich 2005 in 3 monaten die braille schrift erlernt , ich war damals 36 jahre alt , ich hab das schreiben auch auf der tafel und mit der perkins maschiene gelernt ! Meine motivation war das ich immer lesen kann den ich bin eine wahre leseratte ! Ein leben ohne bücher wäre für mich schlimm , hörbücher sind für mich nicht dasselbe wie selber lesen ! Zu dem denke ich schreiben soll man auch können wenn auch das augenlicht immer weniger wird , nur auf die sprachausgabe will ich mich nicht verlassen ! Danke für den einblick in ihre schulzeit !

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