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Geschenk im Doppelpack: Einneues Schriftsystem und eine spannende Lernmethode.

Das "Alef-Bet"

2008 - 2010

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Ich war sieben, als ich die Braille-Schrift erlernte. Sie ist seither "meine" Kommunikations-Schrift; zuerst ausschließlich auf Papier, seit mehr als 20 Jahren auch am Computer. Als 2. Schrift-System lernte ich parallel natürlich auch die "normale Verkehrsschrift", obwohl ich sie nur dann nutzen konnte, wenn die Buchstaben deutlich über 1 cm groß waren. Aus purem Interesse erlernte ich mit etwa 10 Jahren auch die Schreibschrift. Anlass war ein dreiwöchiger Aufenthalt auf einem Bauernhof. Die jüngste Tochter, damals 7, hatte große Freude daran, mir etwas beizubringen, das sie selbst besser konnte als ich. Und ich bekam ein weiteres Schrift-System "geschenkt".

Auch wenn ich die Frakturschrift in den alten Büchern nicht lesen konnte, so blätterte ich immer gerne darin. Auch bewunderte ich die gestochen scharfe Kurrentschrift meiner Mutter, die ich natürlich ebenfalls nicht entziffern konnte.

Aber während die Druck-, Schreib-, Fraktur- und Kurrentschrift allgemein bekannt sind (auch wenn die Kurrent-Schrift vermutlich nicht mehr viele Menschen lesen können), ist "meine" Braille-Schrift nur jenen vertraut, die sie zur Kommunikation benötigen oder sie lehren müssen ... Oder aber für Leute, die, genau wie ich, einen besonderen Faible für Schrift-Systeme haben.

Für mich ist es jedoch gar nicht so einfach, an fremde Schrift-Systeme heranzukommen, denn ich benötige sie in tastbarer Form - Gedrucktes kann ich nicht lesen. Bei Reisen nach Griechenland, Israel, Ägypten oder Russland nutze ich daher jede sich bietende Gelegenheit, Gedenktafeln, Grabstein-Inschriften oder auch Werbetafeln mit taktilen Schriftzeichen genau unter die Finger zu nehmen.

"Schriftentausch"

Und dann bot sich plötzlich eine wundervolle Gelegenheit, mir trotz Unkenntnis der Sprache ein komplettes Schrift-System neu zu erschließen, als ich über unser gemeinsames Betätigungsfeld (Barrierefreies Internet) Johannes Reiss, den Leiter des Jüdischen Museums Eisenstadt kennen lernte. Ich interessierte mich sehr für das hebräische Alphabet, er für das System der Braille-Schrift.

Zum Erlernen der Braille-Schrift gibt es viele Methoden: Vom einfachen Braille-Alphabet als Schautafel bis hin zum komplexen Buch, das in die unterschiedlichsten Schriften für Noten, Schach oder Mathematik und Physik einweiht. Um mich die hebräischen Schriftzeichen zu lehren, musste Johannes jedoch erst ein Konzept erdenken, um die hebräischen Schriftzeichen für mich tastbar zu machen.

Der umgekehrte Weg

In meinem Alltag gilt die Regel, dass ich digitale Dokumente dann lesen kann, wenn es sich um reinen Text, also keine Grafik handelt. Um auf einem Computer jedoch hebräische Schriftzeichen schreiben und lesen zu können, müssen einerseits die entsprechenden Schriftarten installiert werden und andererseits muss auch der Screen Reader die Sprache beherrschen.

Da ich aber die hebräische Sprache weder beherrsche noch lernen wollte, wählten wir einen für blinde Menschen völlig ungewöhnlichen Weg, nämlich den über die Grafik. Johannes erzeugte übergroße Darstellungen der Schriftzeichen, benannte die Datei mit dem richtigen Buchstaben und sandte sie mir via e-Mail zu.

Mit diesen Grafiken alleine hätte ich wenig anfangen können, hätte ich nicht vor ein paar Jahren einen Drucker gekauft, der nicht nur mit Farbpatronen ausgestattet ist, sondern auch mit einem Prägewerk. Damit ist es möglich, farbige Linien und Flächen erhaben zu prägen. Vor mir lagen bald viele A4-Blätter mit großen Schriftzeichen, deren Form ich abtasten konnte. Und da Johannes ja auch die Braille-Schrift gelernt hatte, versah er diese Blätter auch noch mit dem richtigen Braille-Zeichen.

Nach 6 erlernten Schriftzeichen flatterte das erste Übungsblatt in meinen virtuellen Briefkasten, natürlich ohne Braille-Beschriftung, dafür aber mit 4 unterschiedlichen hebräischen Schriftarten, eine echte Herausforderung für meine Finger. Da zeigte es sich rasch, wie wichtig es ist, sich nicht exakte Formen einzuprägen, sondern vielmehr auf einzelne Merkmale zu achten: auf Rundungen und Ecken, auf geschlossene und offene Formen.

Mit Hilfe von Excel erstellte ich mir ein Blatt mit 1,5 cm großen Kästchen, ließ es prägen und konnte so die Schriftzeichen sogar selbst mit Kugelschreiber in die tastbaren Quadrate schreiben (von rechts nach links, versteht sich), wenn auch nicht mehr lesen.

Und wieder einmal das Web als Lösung

Die Grafiken, das e-Mail-Programm und mein Drucker - alles Errungenschaften des digitalen Zeitalters - machten sozusagen einen Fernkurs möglich, der noch vor 15 Jahren undenkbar gewesen wäre. Dennoch war die oben geschilderte Methode mit sehr viel Aufwand vor allem für Johannes verbunden, wofür ich an dieser Stelle nochmals herzlich danken möchte.

Ich hatte nun die Schriftzeichen erlernt und Abbildungen davon in meinem Kopf abgespeichert. Nun wollte ich natürlich auch noch "meine" Kommunikationsschrift erlernen, mit deren 6 Punkten ich ja weit rascher und effizienter umgehen kann.

Wir versuchten also, für die weiteren Übungsbeispiele eine weniger aufwändige Methode zu finden und verfielen auf die Idee, es mit Übungsseiten im Web zu versuchen. Die hebräischen Schriftzeichen können in HTML problemlos erzeugt werden, auch wenn die PC-Schriften gar nicht installiert sind.

Von Seiten meines für westliche Schriftarten optimierten Screen Readers war es allerdings notwendig, sowohl für die Sprachausgabe als auch die Braille-Zeile die entsprechenden Codes mit den hebräischen Buchstaben zu hinterlegen. Alles, was ich dazu brauchte, fand ich im Web: Die HTML-Codes genauso wie die Punktkombinationen für die dazu gehörigen hebräischen Braille-Zeichen.

Der Weg ist das Ziel

Natürlich hätte ich gleich die hebräische Braille-Schrift lernen können, wo ich doch mit den 6 Punkten von Kindheit an vertraut bin. Aber darum ging es ja gar nicht: Ich wollte mir ein neues Schriftsystem erschließen, mich mit Formen beschäftigen, sozusagen meine Fingerkuppen reizen und trainieren, um meinen Kopf mit neuen Bildern anzureichern. So sehr ich meine Braille-Schrift liebe und nutze, 6 Punkte bleiben eben 6 Punkte, in welcher Kombination und Zusammenstellung man sie auch setzen mag. Wer meine drei Lieblingsbuchstaben - Lamed (ל), Kof (ק) und Sin (ש) - betrachtet, wird sicher verstehen, was ich meine. Die klingenden Namen dieser Buchstaben sind nämlich ab sofort in meinem Kopf nicht nur mit einer Punktkombination verbunden, sondern auch untrennbar mit einem Bild verknüpft.

Sollte ich jemals die hebräische Sprache erlernen und benutzen wollen, so wird auch hier, wie in meinem Alltag, die Braille-Schrift die einzige effiziente Kommunikations-Schrift bleiben.

Aber so für mich selbst und zum Spaß habe ich für "mein" neues Schrift-System auch einen Anwendungsbereich gefunden: Ich kann jetzt hebräisch geschriebene Grabinschriften entziffern, sei es, wie in diesem Fall, online mit Hilfe der Braille-Schrift und der Sprachausgabe, oder auch vor Ort, wenn die Zeichen gut tastbar sind.

Wozu? Aus Freude am Knobeln natürlich.

Weiters wissenswert

Die hebräische Braille-Schrift wird übrigens nicht von rechts nach links, sondern, wie andere Schriftsysteme, von links nach rechts geschrieben. Ein aufmerksamer Leser hat mich darauf hingewwiesen, dass ich dies noch erwähnen sollte, wofür ich mich bedanke.

Wer mehr über die Braille- und andere Komunikationsschriften wissen möchte, ist bei diesem Leser gut aufgehoben:
Braille und andere Alphabete behinderter Menschen online lernen.

חוה פפסט

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