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Es ist nicht ganz einfach, aus der Welt der Götter und Pharaonen in die Gegenwart zurückzukehren.

Vom Isis-Tempel zum Staudamm

März 2006

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Bevor ich mich dem letzten Tag unserer Reise widme, möchte ich unbedingt noch erzählen, dass wir den Abend zuvor in einem Gewürzbasar verbracht haben, den vor allem einheimische Hausfrauen besuchen. Nach den packenden Eindrücken in Abu Simbel und der Fahrt ins nubische Dorf sind wir durch das reichhaltige Angebot an frischen und getrockneten Gewürzen in das Land Ägypten sozusagen auch olfaktorisch eingetaucht. Ich habe die Gelegenheit genutzt und den "Duft und Geschmack des Landes" gut verpackt mit nach Hause genommen.

Morgendliche Überraschung

Als wir heute um 9 Uhr an die Rezeption kommen, herrscht helle Aufregung: An der Anschlagtafel hängt ein Zettel mit der Information, dass unser Flug nach Wien, geplante Ankunft 19:30 Uhr, nach Bratislawa umgeleitet wird; voraussichtliche Ankunft: 0:00 Uhr.

Jetzt zeigt sich, dass meine Reisevorbereitung IBM keine üble war. Mit einem fast gleichgültigen Schulterzucken denke ich malesh (Macht nichts, egal). Warum sich den Tag verderben lassen, wir haben hier Sonne, einen guten Fremdenführer und wir werden heute einen der interessantesten Tempel Ägyptens besuchen.

Letztlich stellt sich aber heraus, dass sich ein Mitglied unserer Reisegruppe bloß einen Scherz mit uns erlaubt hat und wir lachen herzlich darüber.

Ein Haus für Isis und andere Götter

Ein kleines Schiff bringt uns auf die Insel Agilkia zum Isistempel, der früher auf der Insel Philae stand. Auch dieser Tempel wurde 1960 den Fluten des Stausees abgetrotzt.

Der Tempel stammt aus der ptolemäisch-römischen Herrschaftszeit und ist der Göttin Isis gewidmet. Die ältesten Teile reichen in das Jahr 380 vor Christus zurück. Ab dem 2. Jahrhundert war das Christentum wohl Hauptreligion, jedoch kann bis zum 6. Jahrhundert nach Christus die Isis-Verehrung durch die Nubier nachgewiesen werden. Ab dem 6. Jahrhundert lebten hier die Kopten.

Anders als in Luxor, wo Bilder früherer Religionen zerstört oder übermalt wurden, sind in diesem Tempel die Spuren der verschiedenen Religionen nebeneinander erhalten geblieben und geben diesem Tempel einen besonderen Reiz, der durch die Asymmetrie der Anlage noch verstärkt wird.

Mohammed versucht einen Bogen von den Anfängen der ägyptischen Kultur bis zum 6. nachchristlichen Jahrhundert zu spannen.

"Die ursprüngliche pharaonische Religion war eine Naturreligion", erläutert Mohammed. "In der Luxorzeit, also während der Blütezeit, brauchte man einen starken Gott der Eroberung. In dieser schönen Gegend jedoch bedurfte es aber einer Göttin: Isis, die Göttin der Schönheit, der Magie, des Zaubers."

Es ist wirklich ein bemerkenswerter Tempel mit Spuren vieler Jahrhunderte, denen wir in der kurzen Zeit nicht nachgehen können. Außerdem: Was ich selbst nicht gesehen und erfasst habe, möchte ich auch nicht zu beschreiben versuchen, sondern verweise lieber auf eine Fundstelle, die mir mehr als der Besuch des Tempels geholfen hat, in meinem Kopf ein ungefähres Bild entstehen zu lassen.

Bedauerlicherweise wurde die Seite http://www.meritneith.de/philae.htm: Der Isistempel von Philae inzwischen vom Netz genommen. Herzlichen Dank dan Fritz Weisshart, der das Archiv dazu ausgegraben hat. Hoffentlich verschwindet nicht auch dieses wieder.
Der Isistempel von Philae

Während wir Mohammed durch die Anlage folgen, baut er den historischen Bogen bis in die heutige Zeit weiter auf. Ich glaube, er versucht uns aus unserer Reise in die Vergangenheit langsam wieder in die Gegenwart des heutigen Ägypten zurückzuholen.

Willkommen in der Gegenwart

Denkmal von Assuan

Bevor es zurück in die Heimat geht, tun wir das, was vermutlich alle Touristen in Assuan tun: wir besuchen den weltberühmten Staudamm. Dieses Werk menschlicher Baukunst lebt für mich einerseits vor allem durch Daten und Fakten, mit denen ich Sie ausnahmsweise nicht verschonen möchte, andererseits aber durch die Überlegungen Mohammeds, mit denen er uns eine Menge zu denken mit auf den Weg nach Hause gibt.

Blick auf den alten Stausee

Der alte Staudamm, aus rotem Granit, 2241 Meter lang, mit einer Basis von 30 und einer Krone von 11 Metern Breite,wurde 1898-1902 von einem Engländer erbaut. 1912 und 1934 wurde er vergrößert. Vor dem Bau des Damms mussten die Bauern immer auf die Flutung durch den Nil warten. Dadurch war nur eine Ernte im Jahr möglich.

Aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums wurde die Versorgung mit Nahrungsmittel immer schwieriger. Bereits 1902 gab es erstmals Überlegungen zu einer Nilregulierung oberhalb des alten Staudamms. Aber erst 1954 reiften unter Nasser die Pläne für einen neuen Damm, mit dessen Bau eine deutsche Firma betraut wurde.

Nach etwa einem Jahr intensiver Verhandlungen wurde das Bauvorhaben schließlich durch die Weltbank finanziert. Um eine neue Einnahmequelle zu erschließen, ließ Nasser den Suezkanal verstaatlichen, was - so Mohammed - beinahe den 3. Weltkrieg ausgelöst hätte.

1960 wurde mit dem Bau des neuen Damms begonnen, 1964 der Umleitungskanal eröffnet. 1970 starb Nasser, sodass der Damm letztlich 1971 von Saddat eröffnet wurde.

Insgesamt wirkten etwa 35.000 Menschen an dem Bau des Damms mit, darunter etwa 2000 Russen. 450 Menschen fanden dabei den Tod. Die Fläche des Nasser-Sees beträgt 5500 Quadratkilometer. Die Länge des jetzigen Damms misst 3830 Meter, die Höhe 111 Meter, die Krone ist 40 Meter breit. (Anmerkung: Nach Überprüfung dieser Daten an verschiedenen Fundstellen im Web würde ich diese Zahlen lieber als ungefähre Werte betrachten, denn als Fakten. Dennoch vermitteln sie eine ungefähre Vorstellung der Größe des Bauwerks.)

Wasserkraftwerk

In den 12 Kanälen stehen 12 Turbinen, die 28% des Stromverbrauchs Ägyptens abdecken können.

Brot für das Volk

Das Wasser wird für 100 Jahre gestaut. Es bedeutet Leben oder Überleben für die Ägypter. Durch die Bewässerung das ganze Jahr über sind nun bis zu vier Ernten möglich. Auch für die Schifffahrt wird der See genutzt.

Was auf der einen Seite für die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Strom als moderne Errungenschaft gepriesen werden kann, birgt aber auch seine Schattenseiten: Der fruchtbare Nilschlamm dringt nicht mehr bis zu den Feldern vor, sondern lagert sich im See ab und muss abgepumpt werden. Auf der anderen Seite wird auf den Feldern Kunstdünger statt des Nilschlamms verwendet.

Darüber hinaus mussten wegen des Dammbaus ungefähr 80.000 Nubier umgesiedelt und von den 16 alten Tempeln konnten nur 12 vor der Flutung gerettet werden.

Durch die aufgestauten Wassermassen verändert sich überdies das Klima im Sudan und wird ständig feuchter.

Bei einem eventuellen Dammbruch würde die Flut in 10 Tagen Kairo erreichen und der Wasserspiegel des Mittelmeers drastisch ansteigen, Zypern und Kreta möglicherweise überflutet werden.

Es sind alles in allem sehr zwiespältige Empfindungen, die uns Mohammed mit auf den Weg in unsere Heimat gibt.

Flughafengebäude von Assuan

Auf der Fahrt zum Flughafen lasse ich die einzelnen Stationen dieser Reise vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. Mohammed hat Jahrtausende der Geschichte vor uns ausgebreitet und immer wieder zwischendurch Bezug auf das moderne Ägypten genommen. Geschickt hat er den Besuch des Staudamms genutzt, um uns mit den Problemen des heutigen Ägypten zu konfrontieren.

Es mag sein, dass ich die meisten Jahreszahlen und Götternamen sehr bald vergessen werde. Eindrücke und Stimmungen, die Fröhlichkeit des Volks und viele kleine Erlebnisse werden aber in meinem Gedächtnis eingegraben bleiben wie in einem Buch, das ich von Zeit zu Zeit öffnen werde, um darin zu blättern - so wie ich es beim Schreiben dieses Tagebuchs getan habe.

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Bildbeschreibungen: Dorothea WINTERLING

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