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Das Volk im Schatten des Staudamms

März 2006

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2 Feluken

Knapp unterhalb des alten Staudamms im ersten Katarakt liegt am linken Nilufer ein nubisches Dorf. Es ist ein Überbleibsel aus der Zeit vor dem Bau des neuen Assuan-Staudamms. Wo früher ein ganzes Volk seine jahrtausende alte Tradition pflegte, erstreckt sich heute der Nasser-Stausee. Er reicht von Assuan bis zum Sudan. Der Bau des Damms ermöglichte Ägypten eine Verdoppelung der Ernte - eine Notwendigkeit, um die explosionsartig ansteigende Bevölkerung ernähren zu können.

Menschen im Dorf

Während die Tempelanlagen von Abu Simbel in einer spektakulären Rettungsaktion von der UNESCO um 80 Meter höher verlegt wurden, mussten etwa 100.000 bis 150.000 Nubier ihre Dörfer verlassen, die anschließend geflutet wurden.

Die Nubier, klein und dunkel, mit arabischen Gesichtszügen, haben eine uralte Kultur, deren Anfänge in das 6. Jahrtausend vor Christus zurückreicht. Aber darüber möchte ich nicht berichten, sondern Wissbegierige auf bessere Quellen verweisen.

Reise in die Vergangenheit

Junge im Boot

Am frühen Nachmittag besteigen wir eine Feluke, das traditionelle Transportmittel auf dem Nil seit vielen Jahrhunderten. Während wir in der schwachen Brise langsam Fahrt bekommen, paddeln Kinder in ihren selbst gebauten Booten heran und singen uns Lieder vor. Schließlich bittet man uns, in ein kleines Motorboot umzusteigen - eine ziemlich wackelige Angelegenheit.

Felsen am Ufer

Jetzt tuckern wir gemütlich durch ein Gewirr von Kanälen und Inseln ins Naturschutzgebiet im ersten Katarakt. Manchmal sind die Durchfahrten so eng, dass die Äste ins Boot ragen, und wenn sie wieder zurückweichen, geben sie den Blick auf bizarre Felsen und grüne Inseln frei.

Weiden am Ufer

Es ist eine romantische und beinahe märchenhafte Fahrt, auf der meine ungestellte Frage, warum wir für eine Fahrt in die Vergangenheit vom traditionellen Segelboot auf ein moderneres kleines Motorboot umgestiegen sind, beim Passieren der beeindruckenden Stromschnellen durch die Natur selbst beantwortet wird. Jetzt bin ich froh um diese Vorsichtsmaßnahme.

Das Dorf in der Wüste

Nubische Familie

Bei unserer Ankunft erwartet uns offenbar schon ein Großteil der Dorfbevölkerung. Sie preisen ihre Waren an und die Kinder versuchen von uns Geld zu erbetteln.

Unser Reiseleiter hat uns davor gewarnt, diesen Knirpsen Geld zu geben. Das scheint uns angesichts des offenkundigen Mangels an allem, was uns so wichtig erscheint, ziemlich hart. Aber seine Argumentation leuchtet uns ein: Die Kinder erbetteln von den Touristen oft in einer Woche mehr Geld, als ihre Väter durch ehrliche Arbeit in einem Monat verdienen können. Als logische Folge davon ziehen sie diese "Geschäfte" dem Besuch der Schule vor. Ohne Schulausbildung sind ihre Berufschancen in einem Land, das vorwiegend vom Tourismus lebt, aber eher dürftig.

Sandberg in der Wüste

Das Dorf selbst liegt mitten in der Wüste. Tagsüber hat es jetzt im März über 30 Grad, nachts kühlt es auf 6 Grad ab. Die Häuser sind nach alter Tradition aus Lehm, die Fußböden gestampft und mit Sand bestreut, und abgesehen von diesem allgegenwärtigen Element der Wüste ist alles blitzsauber.

Ein Hennabaum

Die Menschen leben hier zwar großteils wie vor tausenden von Jahren, aber es werden von Jahr zu Jahr weniger. Trotzdem ist auch hier die Zeit nicht ganz stehen geblieben. So wurde beispielsweise vor einigen Jahren Strom eingeleitet - angesichts der Nähe zur Quelle der Stromerzeugung auch nicht weiter verwunderlich, auch wenn die vielen Strommasten in der unberührten Natur etwas seltsam anmuten. Einige Haushalte haben inzwischen einen Fernsehapparat, ein paar vereinzelte Lampen dienen als "öffentliche Beleuchtung" - aber das ist so ziemlich alles, was wir an Komfort nach unseren Maßstäben entdecken. Die Spuren der so genannten Zivilisation sind diskret und der Eindruck unberührter Natur überwiegt.

Die Zukunft der Jugend

Kind in der Haustür

Eine Grundschule ist im Dorf vorhanden, aber für die Berufsausbildung oder höhere Schulen müssen die Kinder nach Assuan. Wenn es sich die Eltern leisten können, besuchen einige auch eine der Universitäten in Alexandria oder Kairo - und kehren dann meist nicht mehr in ihre Heimat zurück.

Einerseits unternimmt man alles, um der nächsten Generation eine solide Ausbildung zu ermöglichen, andererseits vergrößert gerade dies die Gefahr der Abwanderung. Denn: Was sollten die jungen Leute mit ihrer guten Ausbildung in der Dorfgemeinschaft beginnen und womit ihren Lebensunterhalt verdienen? Und so stehen immer mehr Häuser leer und sind dem Verfall preisgegeben. Es ist vielleicht eine Frage der Zeit, bis eine uralte Kultur nicht zuletzt zufolge der Segnungen besserer Lebensbedingungen aufhört zu existieren.

Leben im Dorf

Fischerboot

Die Dorfbewohner leben heute vorwiegend vom Fremdenverkehr. Die Frauen und Kinder verkaufen handgefertigte Gegenstände und auch die Männer finden neben dem Fischen ihren Erwerb im Tourismus. Wer ein Boot oder Kamele hat, hat auch sein Auskommen, denn das Dorf ist nur auf dem Wasserweg oder nach einem längeren Ritt durch die Wüste erreichbar.

Nubisches Haus

Wir sitzen auf Steinbänken im Schatten zweier Häuser, trinken Tee und überlassen uns der Ruhe dieses abgeschiedenen Fleckchens Erde. Bei der Besichtigung der Wohn- und Schlafräume wird einerseits deutlich, wie bescheiden man hier lebt, aber dennoch möchte ich diese Menschen nicht als arm bezeichnen. Sie wirken fröhlich, stolz und selbstbewusst und ich beneide sie eher, als ich sie bedauere - auch wenn ich weiß, dass ich mich schwer an diese Lebensweise gewöhnen könnte.

Krokodil im Aquarium

Unwillkürlich fragt man sich in diesem Dorf im Schatten des großen Staudamms, ob die Menschen nicht erst dann wirklich arm sein werden, wenn diese jahrtausende alte Kultur dem modernen und fortschrittlichen Streben weichen wird müssen. Der Anschein der Idylle ist trügerisch - auch wenn die Menschen der Tradition treu bleiben und manche Familie sich zu Ehren des Gottes ein Krokodil hält.

Auf der Rückfahrt durch das Naturschutzgebiet hängen die meisten ihren Gedanken nach. Jeder versucht wohl für sich ein kleines Stück der deutlich spürbaren Zufriedenheit und Ruhe in unsere hektische Welt hinüberzuretten.

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Bildbeschreibungen: Dorothea WINTERLING


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