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Wo das eigene Können endet, beginnt oft die Freundlichkeit der Menschen.

Berliner Impressionen
Auftakt zu einem Höhepunkt

Juli 2014

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Nach den feucht-heißen Tropentagen präsentiert sich der Donnerstag von seiner schönsten Seite: sonnig und mit knapp über 20 Grad, bei leichtem Wind. Das ideale Wetter für Außenaktivitäten. Nach dem entspannenden und erholsamen Mittwoch, den wir gemeinsam mit Freunden verbracht haben, sind wir erfrischt und ausgeruht und freuen uns auf ein echtes Highlight.

Unser heutiges Hauptziel ist der Modellpark Berlin-Brandenburg. Die Modelle im Freigelände Eichgestell dürfen normalerweise nicht angefasst werden. Darum haben wir etliche Wochen im Voraus für 14 Uhr eine Führung speziell für blinde Besucher gebucht und betrachten uns als Glückspilze, weil das Wetter geradezu ideal ist.

Nach dem Frühstück versuchen wir vorerst, die Route zu planen; Hannes sieht sich die Gegend am Stadtplan an, ich nutze Bus & Bahn sowie den Abfahrtsmonitor, um die günstigste Verbindung herauszufinden. Bei der Umsteigestelle Schöneweide sind wir beide ein wenig unsicher, weil ein Fußweg von mehreren Minuten angegeben ist. Also werden wir genug Zeit einplanen, um nur ja nicht zu spät zum Treffpunkt zu kommen.

Aber vorerst müssen wir den erworbenen taktilen Plan zur Post bringen. Wer denkt, dass die Post längst out ist, der irrt. Zumindest in der Filiale Schlossstraße ist einiges los. Wir fragen uns zum Paketschalter durch und erfahren, dass wir ein Formular ausfüllen müssen (diesbezüglich hat sich in den letzten Jahrzehnten also nichts geändert). Und die Dame am Schalter merkt auch an, dass sehr viel los ist und sie keine Zeit hat und übrigens laut Vorschrift gar nicht helfen darf. Wir haben dafür Verständnis, aber ich möchte wissen, wie die korrekte Vorgangsweise wäre, um das Paket ordnungsgemäß auf die Reise bringen zu können. Nach kurzem Überlegen setzt sie sich über ihre Bestimmungen hinweg, übernimmt den Karton und füllt das Formular für uns aus. Das korrekte Procedere ist wohl nirgendwo festgeschrieben.

Auf dem Rückweg nehme ich mir dann die Zeit, mit BlindSquare die zahlreichen Geschäfte in der Schlossstraße zu erforschen. Dieselbe App war es übrigens auch, die mir die Adresse der Post verraten hat. Neben Geschäfte für Bekleidung, Schuhe und einem Supermarkt passieren wir auch eine Apotheke — also holen wir gleich ein Fersenpflaster, um die wundgescheuerte Stelle an meiner linken Ferse zu versorgen. An der Bäckerei legen wir noch einen Stopp ein und kaufen Brötchen.

Als wir in den Fußweg zu unserem Domizil einbiegen, informiert uns BlindSquare nicht nur, dass wir unser Ziel erreicht haben, sondern auch, dass wir von der Post bis hierher 1,4 Kilometer gelaufen sind, hin und zurück also immerhin 2,8 Kilometer. Verglichen mit den Kilometern, die wir am Dienstag zurückgelegt haben dürften, ist das allerdings gar nichts.

Umsteigen in Schöneweide

Als wir die Treppe vom Bahnsteig herunterkommen, zückt Hannes sein Monokular, um die Schilder zu entziffern. Ich richte meine Ohren — so wie andere ihre Augen — in alle Richtungen, um mir ein akustisches Bild zu machen. Wir befinden uns in einem größeren Raum, links und rechts sind Ausgänge, denn von dort kommen gedämpfte Straßengeräusche. Unweit zu meiner Linken raschelt Papier. Nein, das ist keine Zeitung, klingt eher wie Einwickelpapier für etwas Essbares. Und da sich das Geräusch nicht entfernt, schließe ich daraus, dass hier jemand steht und eine Zwischenmahlzeit einlegt. Wer isst, hat Zeit und kann uns vielleicht sagen, wohin wir müssen.

Also gehe ich, während Hannes liest, auf das Rascheln zu und frage nach der Straßenbahnstation für die Linien M17, M27 oder M37 Richtung Hegemeisterweg. "Da müssen Se ..." beginnt der Esser, unterbricht sich dann aber selbst. Offenbar ist er mit dem Essen fertig, denn er zerknüllt das Papier, schnappt mich dann einfach an den Schultern, dreht mich in die andere Richtung und beginnt den Weg zu erklären. Irgendwann scheint ihm das alles zu kompliziert zu werden. Seine Hände liegen noch immer auf meinen Schultern und er dreht mich einfach wieder herum und meint, er hätte ohnehin denselben Weg und könnte uns gleich zur Endstation bringen, denn da wären weniger Leute und ... Keine Ahnung, was er uns noch alles erzählt hat, denn Hannes und ich waren trotz allem auf den Weg konzentriert. Schließlich sollten wir ja auch wieder problemlos nach Hause kommen.

Eines habe ich mir jedoch gemerkt: Wir befinden uns im Johannisthal, nahe dem Gelände des zweitältesten Flughafens von Berlin, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem für die Luftschiffe, danach für die Luftpost und später für militärische Zwecke genutzt wurde.

Eintritt in die Miniaturwelt

Inzwischen sind wir bei der Straßenbahnstation angelangt, die wir alleine sicher nicht gefunden hätten. Unser netter Begleiter wartet noch, bis die richtige Linie kommt und verabschiedet sich dann mit einem langgezogenen "Tschüüüüs, macht's gut!"

Als wir an der Haltestelle Hegemeisterweg aussteigen, werden wir schon von Frau B. erwartet, die uns zum Gelände des Modellparks begleitet, wo wir auf ein zweites sehbehindertes Ehepaar aus dem Saarland treffen, das ebenfalls an der Führung teilnehmen wird.

Zur Einstimmung erfahren wir einiges über die Entstehung der Modelle. Bei dem Projekt handelt es sich um eine Initiative für Langzeitarbeitslose. Diese erlernen unter professioneller Anleitung durch Modellbauingenieure das Handwerk.

Die Modelle werden aus speziellen Kunststoffplatten verschiedener Stärken gefertigt. Viele kleine Ornamente wie Balken und Gitter werden aus Keramikfliesen zugeschnitten. Figuren werden aus Knetmasse hergestellt und mit Silikon umhüllt. Sobald dieses gehärtet ist, wird die Knete herausgenommen und die Höhlung mit einem Kunstharz gefüllt, das in drei Stunden härtet. So können kaputt gegangene Teile problemlos reproduziert werden.

Mehrere Modelle

Mit diesem Basiswissen machen wir uns auf den Weg in den Modellpark. Bei der Gestaltung des Geländes wurde darauf geachtet, eine annähernd korrekte Anordnung der Gebäude beizubehalten. Auch Hügel, Bepflanzung und Gewässer wurden der originalen Landschaft nachempfunden, so gut dies eben möglich war. So weist uns Frau B. darauf hin, dass hier beispielsweise genau wie in Berlin die Siegessäule hinter dem Brandenburger Tor hervorlugt.

Das kann man sehen, aber ich muss es ihr einfach glauben, denn für mich ist das zwar eine interessante Information, aber wirklich erfassen kann ich sie nicht. Ich muss erst ganz nah, also auf Tuchfühlung, an irgendein Gebäude heran, um überhaupt etwas wahrnehmen zu können. Der Sehsinn arbeitet eben auf Distanz, der Tastsinn ist auf Nähe angewiesen. Die Anordnung eines ganzen Potpourris werde ich abschreiten müssen, um mir nicht auf "einen Blick", sondern Stück für Stück ein ungefähres Bild machen zu können.

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