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Wer die Wahl hat, hat auch die Qual.

Android
Versuch eines Vergleichs (11)

19.10.2015

Zu den (2) Kommentaren

Foto iPhone und Galaxy

Bildbeschreibung: Rechts liegt das Samsung Galaxy S5, links daneben das etwas kleinere iPhone 5S. Beide Bildschirme zeigen den jeweiligen Desktop.

Eine Bemerkung vorne weg: Ob Android oder iOS das richtige Betriebssystem ist, hängt in erster Linie von den Bedürfnissen des Nutzers und dessen Anforderungen ab. Diese Entscheidung muss jeder selber treffen. Ich kann nur aus eigener Sicht und beschränkt auf die Nutzung mit Screen Reader meine Erfahrungen und eigenen Vorlieben niederschreiben und keine Empfehlung abgeben.

Ob man letztlich Android oder iOS wählt — — der Screen Reader ist mit an Bord und muss nur noch aktiviert werden! Bei iOS ist dies VoiceOver, bei Android-Geräten standardmäßig Talkback. Als alternativen Screen Reader gibt es unter Android noch Shine, das ich jedoch nicht ausprobiert habe.

Vielfalt versus Einheitlichkeit

Während unterschiedliche Geräte von Apple unter derselben Betriebssystem-Version fast identisch zu bedienen sind, ist dies bei Android-Geräten nicht der Fall. Für blinde Nutzer steht am Anfang daher die Klärung der schwierigen Frage, welche der Geräte entweder die von Google vorgesehene oder eine ähnlich gut bedienbare Benutzeroberfläche haben. Eine Reihe von Produzenten stülpt eine eigene Oberfläche über, was bis zur völligen Unbedienbarkeit mit dem Screen Reader Talkback führen kann.

Als Entscheidungshilfe können persönliche Kontakte zu anderen Nutzern, etwa in Mailinglisten und Foren, dienen. Ausprobieren sollte man das Gerät auf jeden Fall. Aufgrund der Vielfalt an Gerätetypen mit Android darf man im Handel kein Wissen über Bedienungshilfen voraussetzen, in einem Apple Store ist dies meist vorhanden.

Auf der anderen Seite ist Android ein offenes System und erlaubt den direkten Zugriff auf das Dateisystem, sodass Dateien fast beliebig via USB übertragen werden können. Wer also anfangs Probleme mit der virtuellen Tastatur hat, verbindet das Smartphone via USB mit dem PC und beschriftet die Bilder via PC-Tastatur. Apple erlaubt diesen Zugriff nicht, denn die Vergabe eines Etiketts ändert nur die Anzeige am Bildschirm, nicht jedoch den Namen der Datei.

Die Einstellungen für das Gerät sind unter Android ebenfalls unterschiedlich gestaltet, je nach Hersteller. Wo sich also eine bestimmte Einstellung (etwa die Medienlautstärke) verbirgt, muss man entweder herausfinden oder bei jemandem erfragen, der dasselbe Modell nutzt. Bei Apple sind diese Unterschiede deutlich geringer und Einstellungen daher leichter zu finden. Auch Hilfestellung in einem Forum wird dadurch deutlich erleichtert.

Wer mit der vom Hersteller mitgelieferten virtuellen Tastatur nicht zufrieden ist, kann bei Android aus einer größeren Anzahl Tastaturen wählen als bei Apple.

Ähnliches gilt für Sprachausgaben. Auch hier bietet Android eine erfreuliche Auswahl.

Talkback und VoiceOver

Das grundsätzliche Bedienungskonzept ist durchaus vergleichbar: Die Ausgabe des Bildschirms erfolgt durch Sprachausgabe, die Eingabe per tipp- und Wischgesten. Auch die Basisgesten für das Erforschen des Bildschirms und das Aktivieren eines Elements sind identisch. Auf Zoom und weitere Bedienungshilfen wird in diesem Rahmen nicht eingegangen.

In der weiterführenden Bedienung mit Gesten gibt es freilich Unterschiede, wobei Befehlsumfang ebenfalls vergleichbar ist. Unter Android können Gesten vom Nutzer umdefiniert werden.

Der Befehlssatz für die Bedienung mit einer Braille-Tastatur ist unter Android eher dürftig, die Unterstützung für die Ausgabe auf einer Braille-Zeile jedoch in vergleichbarem Umfang (Anzahl koppelbarer Geräte) vorhanden.

Die Zuverlässigkeit der Interpretation von Gesten scheint mir unter Android noch nicht in gleichem Ausmaß gegeben wie unter iOS. Auch nach längerer Einarbeitung passiert es mir immer wieder, dass ein Doppeltipp nicht beim ersten Mal funktioniert oder bei zu raschem oder zu ungenauem Streichen der Fokus großräumig verschoben wird. Allerdings kann ich nicht ausschließen. dass dies teilweise auch an meiner mehr als vierjährigen Gewöhnung an das iPhone liegen könnte.

Kontextmenü und Rotor

Es gibt auf dem Samsung Galaxy S5 ein globales und ein lokales Kontextmenü. Beide werden standardmäßig durch "Winkelgesten" aufgerufen. Danach erfolgt eine Anweisung, wie man das Menü bedient: "Berühren Sie den Bildschirm und Suchen sie in einer kreisförmigen Bewegung nach einem Element. Heben Sie anschließend den Finger an, um es auszuwählen."

Die Menüs beinhalten den Zugriff auf spezielle Aktionen für Talkback, um die Navigation zu präzisieren oder zu beschleunigen.

Die Kontextmenüs sind mit dem Rotor unter iOS (ab iOS 9 Liste) vergleichbar. Durch kreisförmige Bewegung mit einem Finger werden die einzelnen Einträge vorgelesen. Die verfügbaren Aktionen werden unter Android jedoch durch einfaches Anheben des Fingers und nicht durch eine Wischgeste ausgelöst.

Im globalen Menü können sich weitere Untermenüs verbergen. Auch deren Inhalt wird durch Anheben des Fingers aktiviert.

Um einen Eindruck der Auswahlmöglichkeiten zu geben, gehe ich auf diese Menüs näher ein.Als Beispiel wähle ich den Startbildschirm. Je nach Situation können sich die gebotenen Aktionen unterscheiden.

Das globale Kontextmenü wird mit der Winkelgeste "nach unten, nach rechts" aufgerufen und beinhaltet am Startbildschirm folgende Einträge:

Das lokale Kontextmenü wird mit der Winkelgeste "Nach oben, nach rechts" aufgerufen und beinhaltet am Startbildschirm folgende Einträge:

Die Kontextmenüs sind sozusagen kontextsensitiv und bieten je nach Situation unterschiedliche Aktionen an. In einem aktiven Eingabefeld stehen andere Befehle zur Verfügung als beispielsweise bei Nutzung des Browsers.

Die enorme Flexibilität dieser Menüs brachte mich zu Beginn nahezu zur Verzweiflung. Inzwischen weiß ich diesen Leistungsumfang zu schätzen, seit ich mir vergegenwärtigt habe, wie unterschiedlich die Kontextmenüs unter Windows gestaltet sein können.

Im Vergleich

Die Kontextmenüs unter Android und der Rotor (= die Liste) unter iOS lassen sich nur von deren Grundfunktion her vergleichen. Sie sind eine Möglichkeit, auf bestimmte Funktionen des jeweiligen Screen Readers schneller zugreifen zu können. Unter Android ist diese Funktion sehr flexibel gestaltet. Es gibt zwei unterschiedliche Kontextmenüs und Art und Anzahl der darin enthaltenen Elemente wechselt ständig, wird sozusagen der jeweiligen Situation dynamisch angepasst. Unter iOS bestimmt der Anwender per Definition in der Grundeinstellung, welche Elemente angezeigt werden sollen. Je nach Anwendung werden diese dann vom System auf das gerade verfügbare Angebot reduziert. Das erlaubt eine bessere Übersicht, bringt aber auch eine gewisse Starrheit mit sich (Beispiel: Auch wenn auf einer Webseite keine Tabellen vorhanden sind, wären sie prinzipiell möglich, sodass sie auch im Rotor mit dem Wert "0 Tabellen" vorhanden sind.)

Texte bearbeiten

In einer früheren Lektion habe ich mich bereits mit der Eingabe und Ausgabe via Braille-Tastatur befasst. Auch Versuche mit der Spracheingabe habe ich unternommen.

Die komfortabelste Texteingabe ist sicher die Nutzung einer Bluetooth-Tastatur. Damit können Texte eingegeben, markiert und editiert werden, und zwar genauso gut wie unter Windows. Zeichen-, wort- und zeilenweises Bewegen mit dem Cursor funktioniert zuverlässig, Markieren mit der Shift-Taste ebenso. Weniger zuverlässig ist die Rückmeldung durch Talkback, bei einem guten Schreiber ist dies aber nicht so tragisch.

Schreibt man allerdings mit der virtuellen Tastatur oder tippt mittels Braille-Tastatur den Text ein, gestalten sich gezielte Bewegungen deutlich schwieriger. Zwar stellt Android eine sehr pfiffige Funktion zur Verfügung, indem man sich in einem aktiven Textfeld zeichenweise vor und zurück mit der Lautstärketaste bewegen kann. Erfahrungsgemäß funktioniert das aber nicht zuverlässig in allen Eingabefeldern.

Nach langem Suchen habe ich eine Möglichkeit gefunden, einigermaßen zielsicher in Textfeldern zu navigieren: Im lokalen Kontextmenü kann die Leseeinheit gewählt werden. So kann ich kann im Eingabefeld von Google Docs zwischen Absatz, Wort, Zeichen und Standard wählen. (Im Browser verändert sich dieses Angebot entsprechend der dort verfügbaren Elemente.)

Nach einigem Herumprobieren habe ich eine einfache Geste (nach unten streichen) mit der Funktion "nächste Leseeinheit" belegt. damit wird auch ein Buchstaben bzw. wortweises Scrollen in einem Text möglich.

Im Vergleich

Ich empfinde Textbearbeitung auf einem Smartphone grundsätzlich weniger komfortabel als auf meinem PC. Um einen kleinen Einblick zu geben, wo es aus meiner Sicht hakt, beleuchte ich kurz die getesteten Eingabemöglichkeiten:

Bei Nutzung einer Bluetooth-Tastatur ist das Editieren unter Android für mich einfacher als unter iOS. Das liegt vermutlich daran, dass es mit dem Editieren unter Windows vergleichbar ist und ich eben ein Windows-System nutze.

Die Qualität der Spracheingabe ist unter beiden Systemen vergleichbar gut, die Editierfunktionen ohne zusätzliche Tastatur aber unter Android deutlich eingeschränkter als unter iOS. Zum Teil mag dieser Eindruck auch auf meine noch immer mangelnde Übung zurückzuführen sein. (auch unter iOS habe ich ziemlich lange Zeit benötigt, um die Schreibmarke gezielt zu bewegen).

Die Nutzung einer Braille-Zeile für Ein- und Ausgabe ist unter Android nicht ganz so komfortabel wie unter iOS. dieser Eindruck drängt sich mir vor allem dadurch auf, dass es für Talkback deutlich weniger Navigations-Befehle auf der Braille-Zeile gibt als unter iOS. Zum anderen muss die Eingabe-Tastatur bei jedem Wechsel explizit gewählt werden, während unter iOS Braille- und virtuelle Tastatur gleichzeitig genutzt werden kann.

Was die direkte Eingabe mittels virtueller Tastatur angeht, so sind beide Systeme insofern gleich gut, als man unter Android die Art der Tastatur wählen kann.

Vorläufiger Abschluss

Damit beende ich meinen Erfahrungsbericht mit dem Samsung Galaxy S5. Es wird zu einem nächsten Besitzer weiterwandern, der hoffentlich Freude damit haben wird, denn es ist ein gutes Smartphone. Ich benötige keine zwei Smarmtphones, mein iPhone reicht mir. und es ist mir vertraut.

Diese viereinhalbjärhige Gewöhnung an ein Konzept ist sicher einer der Hauptgründe, warum das iPhone für mich die erste Wahl bleibt.

Auch wenn die Braille-Unterstützung auf dem iPhone noch verbesserungswürdig ist, so ist sie doch besser als unter Android. dies ist der 2. für mich wichtige Punkt, denn ich mache viel Texteingabe und Textkorrektur.

Der 3. Grund liegt in der Zuverlässigkeit von Tipp- und Wischgesten. Ob es an Talkback oder an mir liegt, kann ich nicht genau sagen, aber auf meinem iPhone sind meine Finger einfach akrobatischer als auf dem S5.

Aber eines steht für mich fest: Das Galaxy S5 ist ein gutes Gerät, mit dem man blind auch gut zurechtkommen kann — zumindest, sobald man die Anfangsschwierigkeiten, die jedes neue System mit sich bringt, überwunden hat.

Daher: Ran an das Smartphone! Es ist auch für blinde Anwender ein stets bereiter mobiler Helfer in der Tasche!

Zum vorigen Beitrag der Serie

Zur Auflistung der Gesten für Talkback

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2 Kommentare

  1. Aleksandar schrieb am Samstag, 31.10.15 13:20 Uhr:

    Hallo! vielen Dank für den aufschlussreichen Beitrag. Ich selbst bin auch blind und nutze das iPhone 5, vor dem Kauf hatte sich mir vor paar Jahren schon die Frage "IOS" oder "Android" gestellt. Ob der Einfachheit und Zugänglichkeit habe ich mich für Apple entschieden, bin aber immer noch neugierig. Auf Deinem Blog hast Du meine ich auch Voiceover Gesten gepostet, die mir den Einstieg erleichtert haben. Bald steht wohl wieder ein neues Smartphone an - mal sehen ob's ein iPhone 6s oder Samsung Galaxy wird... Jedenfalls habe ich jetzt einen recht guten ersten Eindruck von Android, habe das selbst auch schon mal kurz ausprobiert, die Bedienung ist aber - wenn man Apple auf iPhone und Mac gewohnt ist - doch ungewohnt.

  2. Eva schrieb am Montag, 02.11.15 07:58 Uhr:

    Hallo Aleksandar,

    Ich möchte noch ergänzen, dass es vermutlich nicht reicht, sich ein bestimmtes GErät unter Android anzusehen. Die Bedienung und Einstellungsmöglichkeiten sind ziemlich unterschiedlich. So würde ich gerne noch ein Nexus testen.

    Auch ich nutze weiterhin lieber mein iPhone 5S. Ob nur aus Bequemlichkeit oder Vertrautheit mit dem System, kann ich nicht sagen.

    Auf jeden Fall lohnt es sich auch bei Android am Ball zu bleiben, zumal sich auch bei Apple in den letzten Updates unangenehme Fehler eingeschlichen haben, die nur sehr lax behoben werden.

    Auf jeden Fall sind es nur persönliche und sehr eingeschränkte ERfahrungen, die ich hier mitgeteilt habe, die wohl zur Information, aber nur bedingt als Entscheidungshilfe taugen dürften.

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